ter und Bruder so wenig mit Männerthränen bekannt geworden als mit Elephanten-, Hirsch- und Krokodilsthränen -- desto reicher in seine Trauer und Liebe, aber nicht so süß als bitter überströmten. Das goß wieder neues Oel in seine Flamme und Lampe, bis er am Ende wie jener Schüler des Hexenmeisters von Göthe die Besen, welche Wasser zutrugen, nicht mehr re¬ gieren konnte. Poetische Naturen haben eine mitleidige; gleich der Justiz besolden sie neben der Folterbank einen Wundarzt, der die ge¬ brochnen Glieder sogleich wieder ordnet, ja so¬ gar vorher die Stellen der Quetschungen re¬ gulirt.
Der Mann sollte nie seinetwegen, ausge¬ nommen vor Entzückung, weinen. Aber Dich¬ ter und alle Leute von vieler Phantasie sind Zauberer, welche -- gerade als Widerspiele der verbrannten Zauberinnen -- leichter wei¬ nen, obwohl mehr vor Bildern als vor dem rohen, wunden Unglück selber, um die armen Zauberinnen auf die schlimmste Wasserprobe zu setzen. Trauet nicht! Auf dem Machinel¬
ter und Bruder ſo wenig mit Männerthränen bekannt geworden als mit Elephanten-, Hirſch- und Krokodilsthränen — deſto reicher in ſeine Trauer und Liebe, aber nicht ſo ſüß als bitter überſtrömten. Das goß wieder neues Oel in ſeine Flamme und Lampe, bis er am Ende wie jener Schüler des Hexenmeiſters von Göthe die Beſen, welche Waſſer zutrugen, nicht mehr re¬ gieren konnte. Poetiſche Naturen haben eine mitleidige; gleich der Juſtiz beſolden ſie neben der Folterbank einen Wundarzt, der die ge¬ brochnen Glieder ſogleich wieder ordnet, ja ſo¬ gar vorher die Stellen der Quetſchungen re¬ gulirt.
Der Mann ſollte nie ſeinetwegen, ausge¬ nommen vor Entzückung, weinen. Aber Dich¬ ter und alle Leute von vieler Phantaſie ſind Zauberer, welche — gerade als Widerſpiele der verbrannten Zauberinnen — leichter wei¬ nen, obwohl mehr vor Bildern als vor dem rohen, wunden Unglück ſelber, um die armen Zauberinnen auf die ſchlimmſte Waſſerprobe zu ſetzen. Trauet nicht! Auf dem Machinel¬
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bekannt geworden als mit Elephanten-, Hirſch-
und Krokodilsthränen — deſto reicher in ſeine
Trauer und Liebe, aber nicht ſo ſüß als bitter
überſtrömten. Das goß wieder neues Oel in
ſeine Flamme und Lampe, bis er am Ende wie
jener Schüler des Hexenmeiſters von Göthe die
Beſen, welche Waſſer zutrugen, nicht mehr re¬
gieren konnte. Poetiſche Naturen haben eine
mitleidige; gleich der Juſtiz beſolden ſie neben
der Folterbank einen Wundarzt, der die ge¬
brochnen Glieder ſogleich wieder ordnet, ja ſo¬
gar vorher die Stellen der Quetſchungen re¬
gulirt.
Der Mann ſollte nie ſeinetwegen, ausge¬
nommen vor Entzückung, weinen. Aber Dich¬
ter und alle Leute von vieler Phantaſie ſind
Zauberer, welche — gerade als Widerſpiele
der verbrannten Zauberinnen — leichter wei¬
nen, obwohl mehr vor Bildern als vor dem
rohen, wunden Unglück ſelber, um die armen
Zauberinnen auf die ſchlimmſte Waſſerprobe
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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/278>, abgerufen am 24.11.2024.
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