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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Lilar entfahren; "davon, (sagte Froulay ganz
freundlich) hast Du uns ja kein Wort merken
lassen, Tochter." -- "Der Mutter sogleich!" (ver¬
setzte sie zu schnell), "Ich nähme auch gern Antheil
"an Deinen Lustbarkeiten" (sagt' er, Grimm
versparend). Ganz aufgeräumt setzte sich die¬
ser Flößknecht so vieler Thränen und abgehaue¬
ner Blüthenzweige, die er darauf hinabschwim¬
men ließ, an die Abendtafel. Nach seinem
Verstärkungsohr fragt' er zuerst Bediente und
Familie. Darauf gieng er ins Französische
über -- wiewohl die Tellerwechsler eine grobe
Übersetzung davon für sich, eine versio inter
linearis
auf seinem Gesichte fanden --, um zu
berichten, der vornehme Graf sey dagewesen,
und habe nach Mutter und Tochter gefragt.
"Mit Recht verlangt' er Euch beide (fuhr
der moralische Glacier fort, der gern das
warme Essen kühlte) Ihr verschweigt immer,
wie ich heute wieder hörte, gemeinschaftlich
gegen mich; aber warum soll ich Euch denn
noch trauen?" Er haßte jede Lüge von Herzen,
die er nicht sagte; so hielt er sich ernstlich für
moralisch, uneigennützig und sanft bloß darum,

Lilar entfahren; „davon, (ſagte Froulay ganz
freundlich) haſt Du uns ja kein Wort merken
laſſen, Tochter.“ — „Der Mutter ſogleich!“ (ver¬
ſetzte ſie zu ſchnell), „Ich nähme auch gern Antheil
„an Deinen Luſtbarkeiten“ (ſagt' er, Grimm
verſparend). Ganz aufgeräumt ſetzte ſich die¬
ſer Flößknecht ſo vieler Thränen und abgehaue¬
ner Blüthenzweige, die er darauf hinabſchwim¬
men ließ, an die Abendtafel. Nach ſeinem
Verſtärkungsohr fragt' er zuerſt Bediente und
Familie. Darauf gieng er ins Franzöſiſche
über — wiewohl die Tellerwechsler eine grobe
Überſetzung davon für ſich, eine versio inter
linearis
auf ſeinem Geſichte fanden —, um zu
berichten, der vornehme Graf ſey dageweſen,
und habe nach Mutter und Tochter gefragt.
„Mit Recht verlangt' er Euch beide (fuhr
der moraliſche Glacier fort, der gern das
warme Eſſen kühlte) Ihr verſchweigt immer,
wie ich heute wieder hörte, gemeinſchaftlich
gegen mich; aber warum ſoll ich Euch denn
noch trauen?“ Er haßte jede Lüge von Herzen,
die er nicht ſagte; ſo hielt er ſich ernſtlich für
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[139/0151] Lilar entfahren; „davon, (ſagte Froulay ganz freundlich) haſt Du uns ja kein Wort merken laſſen, Tochter.“ — „Der Mutter ſogleich!“ (ver¬ ſetzte ſie zu ſchnell), „Ich nähme auch gern Antheil „an Deinen Luſtbarkeiten“ (ſagt' er, Grimm verſparend). Ganz aufgeräumt ſetzte ſich die¬ ſer Flößknecht ſo vieler Thränen und abgehaue¬ ner Blüthenzweige, die er darauf hinabſchwim¬ men ließ, an die Abendtafel. Nach ſeinem Verſtärkungsohr fragt' er zuerſt Bediente und Familie. Darauf gieng er ins Franzöſiſche über — wiewohl die Tellerwechsler eine grobe Überſetzung davon für ſich, eine versio inter linearis auf ſeinem Geſichte fanden —, um zu berichten, der vornehme Graf ſey dageweſen, und habe nach Mutter und Tochter gefragt. „Mit Recht verlangt' er Euch beide (fuhr der moraliſche Glacier fort, der gern das warme Eſſen kühlte) Ihr verſchweigt immer, wie ich heute wieder hörte, gemeinſchaftlich gegen mich; aber warum ſoll ich Euch denn noch trauen?“ Er haßte jede Lüge von Herzen, die er nicht ſagte; ſo hielt er ſich ernſtlich für moraliſch, uneigennützig und ſanft bloß darum,

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/151>, abgerufen am 24.11.2024.