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Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802.

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Blutgerüste -- sondern vom Gedanken an das
lange Überbauen der mütterlichen Thränen,
der mütterlichen Liebesquellen, welche bisher
nährend tief unter ihren Blumen geflossen wa¬
ren; sie warf sich dankend zwischen diese hel¬
fenden Arme. Sie schlossen sich nicht um sie,
weil die Ministerin durch keine Woge und
Brandung schneller Aufwallungen weich und
locker auszuspühlen war.

In diese Umfassung griff oder trat der Mini¬
ster ein. "So!" (sagt' er schnell.) "Mein Ohr,
Madam, (fuhr er fort,) findet sich unter den
Domestiken durchaus nicht wieder vor; das hab'
ich Ihnen zu sagen." Denn er hatte sich heu¬
te auf einen Gesetz-Sinai gestellt und der an
dessen Fuß versammelten Dienerschaft in die
Ohren gedonnert um seines zu erfragen, "weil
ich glauben muß, (hatt' er ihr gesagt,) daß
ihr mirs aus sehr guten Gründen gestoh¬
len habt." Dann war er als Hagelschauer
wie ein Küchendampf bei windigem Wetter,
durch die einzelnen Dienerzimmer und Winkel
nach dem Ohr gezogen. -- "Und Du?" sagt'
er halb-freundlich zu Liane. Sie küßte seine

Blutgerüſte — ſondern vom Gedanken an das
lange Überbauen der mütterlichen Thränen,
der mütterlichen Liebesquellen, welche bisher
nährend tief unter ihren Blumen gefloſſen wa¬
ren; ſie warf ſich dankend zwiſchen dieſe hel¬
fenden Arme. Sie ſchloſſen ſich nicht um ſie,
weil die Miniſterin durch keine Woge und
Brandung ſchneller Aufwallungen weich und
locker auszuſpühlen war.

In dieſe Umfaſſung griff oder trat der Mini¬
ſter ein. „So!“ (ſagt' er ſchnell.) „Mein Ohr,
Madam, (fuhr er fort,) findet ſich unter den
Domeſtiken durchaus nicht wieder vor; das hab'
ich Ihnen zu ſagen.“ Denn er hatte ſich heu¬
te auf einen Geſetz-Sinai geſtellt und der an
deſſen Fuß verſammelten Dienerſchaft in die
Ohren gedonnert um ſeines zu erfragen, „weil
ich glauben muß, (hatt' er ihr geſagt,) daß
ihr mirs aus ſehr guten Gründen geſtoh¬
len habt.“ Dann war er als Hagelſchauer
wie ein Küchendampf bei windigem Wetter,
durch die einzelnen Dienerzimmer und Winkel
nach dem Ohr gezogen. — „Und Du?“ ſagt'
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[123/0135] Blutgerüſte — ſondern vom Gedanken an das lange Überbauen der mütterlichen Thränen, der mütterlichen Liebesquellen, welche bisher nährend tief unter ihren Blumen gefloſſen wa¬ ren; ſie warf ſich dankend zwiſchen dieſe hel¬ fenden Arme. Sie ſchloſſen ſich nicht um ſie, weil die Miniſterin durch keine Woge und Brandung ſchneller Aufwallungen weich und locker auszuſpühlen war. In dieſe Umfaſſung griff oder trat der Mini¬ ſter ein. „So!“ (ſagt' er ſchnell.) „Mein Ohr, Madam, (fuhr er fort,) findet ſich unter den Domeſtiken durchaus nicht wieder vor; das hab' ich Ihnen zu ſagen.“ Denn er hatte ſich heu¬ te auf einen Geſetz-Sinai geſtellt und der an deſſen Fuß verſammelten Dienerſchaft in die Ohren gedonnert um ſeines zu erfragen, „weil ich glauben muß, (hatt' er ihr geſagt,) daß ihr mirs aus ſehr guten Gründen geſtoh¬ len habt.“ Dann war er als Hagelſchauer wie ein Küchendampf bei windigem Wetter, durch die einzelnen Dienerzimmer und Winkel nach dem Ohr gezogen. — „Und Du?“ ſagt' er halb-freundlich zu Liane. Sie küßte ſeine

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 3. Berlin, 1802, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan03_1802/135>, abgerufen am 25.11.2024.