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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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alle barbarische Völker und Zeiten her, worin,
weil beide ja nur den Mann, nie die Frau be¬
rechnen, eine glückliche Ehe nichts bedeutet
als einen glücklichen Mann. Niemand steht
nahe genug dabei, die weiblichen Seufzer zu
hören und zu zählen; der ungehörte Schmerz
wird endlich sprachlos; neue Wunden schwä¬
chen das Bluten der ältesten. Ferner: am
Mißgeschick der Neigungs-Ehen ist eben ihr
Verwehren und euer Krieg gegen die Verehlich¬
ten Schuld. -- Ferner: jede Zwangs-Ehe ist ja
meistens zur Hälfte eine Neigungs-Ehe. End¬
lich: die besten Ehen sind im mittlern Stand, wo
mehr die Liebe, und die schlechtesten in den hö¬
hern, wo die Rücksicht bindet; und so oft in diesen
ein Fürst blos mit seinem Herzen wählte, so erhielt
er eines und er verlor und betrog es nie. -- --

Welches ist denn nun die Hand, in welche
ihr so oft die schönste, feinste, reichste, aber wi¬
dersträubende presset? Gewöhnlich eine schwarze,
alte, welke, gierige. Denn veraltete, reiche
oder steigende Libertins haben zu viel Kennt¬
niß, Sättigung und Freiheit, um sich an¬
dere Wesen zu stehlen als die herrlichsten; die

alle barbariſche Völker und Zeiten her, worin,
weil beide ja nur den Mann, nie die Frau be¬
rechnen, eine glückliche Ehe nichts bedeutet
als einen glücklichen Mann. Niemand ſteht
nahe genug dabei, die weiblichen Seufzer zu
hören und zu zählen; der ungehörte Schmerz
wird endlich ſprachlos; neue Wunden ſchwä¬
chen das Bluten der älteſten. Ferner: am
Mißgeſchick der Neigungs-Ehen iſt eben ihr
Verwehren und euer Krieg gegen die Verehlich¬
ten Schuld. — Ferner: jede Zwangs-Ehe iſt ja
meiſtens zur Hälfte eine Neigungs-Ehe. End¬
lich: die beſten Ehen ſind im mittlern Stand, wo
mehr die Liebe, und die ſchlechteſten in den hö¬
hern, wo die Rückſicht bindet; und ſo oft in dieſen
ein Fürſt blos mit ſeinem Herzen wählte, ſo erhielt
er eines und er verlor und betrog es nie. — —

Welches iſt denn nun die Hand, in welche
ihr ſo oft die ſchönſte, feinſte, reichſte, aber wi¬
derſträubende preſſet? Gewöhnlich eine ſchwarze,
alte, welke, gierige. Denn veraltete, reiche
oder ſteigende Libertins haben zu viel Kennt¬
niß, Sättigung und Freiheit, um ſich an¬
dere Weſen zu ſtehlen als die herrlichſten; die

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[90/0098] alle barbariſche Völker und Zeiten her, worin, weil beide ja nur den Mann, nie die Frau be¬ rechnen, eine glückliche Ehe nichts bedeutet als einen glücklichen Mann. Niemand ſteht nahe genug dabei, die weiblichen Seufzer zu hören und zu zählen; der ungehörte Schmerz wird endlich ſprachlos; neue Wunden ſchwä¬ chen das Bluten der älteſten. Ferner: am Mißgeſchick der Neigungs-Ehen iſt eben ihr Verwehren und euer Krieg gegen die Verehlich¬ ten Schuld. — Ferner: jede Zwangs-Ehe iſt ja meiſtens zur Hälfte eine Neigungs-Ehe. End¬ lich: die beſten Ehen ſind im mittlern Stand, wo mehr die Liebe, und die ſchlechteſten in den hö¬ hern, wo die Rückſicht bindet; und ſo oft in dieſen ein Fürſt blos mit ſeinem Herzen wählte, ſo erhielt er eines und er verlor und betrog es nie. — — Welches iſt denn nun die Hand, in welche ihr ſo oft die ſchönſte, feinſte, reichſte, aber wi¬ derſträubende preſſet? Gewöhnlich eine ſchwarze, alte, welke, gierige. Denn veraltete, reiche oder ſteigende Libertins haben zu viel Kennt¬ niß, Sättigung und Freiheit, um ſich an¬ dere Weſen zu ſtehlen als die herrlichſten; die

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/98>, abgerufen am 24.11.2024.