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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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rothwangigen Jünglings in die Augen. Er
schluchzete an dieser freudetrunknen Brust und
Albano wurde weich, weil er dachte, er sei es
zu wenig und sein Freund so sehr.

"Hinaus, hinaus!" sagte Karl; und das war
lange Albano's Wunsch. Es schlug Ein Uhr,
als sie auf der engen Kellertreppe die Sterne
des Frühlingshimmels oben an der Einfahrt des
Schachtes blitzen sahen. Wie frisch quoll die
eingeathmete Nacht über die heissen Lippen! --
Wie fest bauete sich über die flüchtigen Zeltgas¬
sen der Stadt die Welt-Rotunda mit ihren festen
Sternenreihen dahin! Wie erquickte und er¬
weiterte sich das feurige Auge Albanos an den
Riesenmassen des dämmernden Frühlings, an
dem unter dem durchsichtigen Mantel der Nacht
schlummernden Tag! Zephyre, die Schmetter¬
linge des Tags, flatterten schon um ihre lieben
Blumen und sogen aus den Blüten und trugen
Weihrauch für den Morgen ein, eine schlaf¬
trunkne Lerche fuhr zuweilen in den stillen Him¬
mel hinauf mit dem lauten Tage in der Kehle,
über die dunkeln Auen und Stauden war schon
der Thau gegossen, dessen Juwelenmeer vor

rothwangigen Jünglings in die Augen. Er
ſchluchzete an dieſer freudetrunknen Bruſt und
Albano wurde weich, weil er dachte, er ſei es
zu wenig und ſein Freund ſo ſehr.

„Hinaus, hinaus!“ ſagte Karl; und das war
lange Albano's Wunſch. Es ſchlug Ein Uhr,
als ſie auf der engen Kellertreppe die Sterne
des Frühlingshimmels oben an der Einfahrt des
Schachtes blitzen ſahen. Wie friſch quoll die
eingeathmete Nacht über die heiſſen Lippen! —
Wie feſt bauete ſich über die flüchtigen Zeltgaſ¬
ſen der Stadt die Welt-Rotunda mit ihren feſten
Sternenreihen dahin! Wie erquickte und er¬
weiterte ſich das feurige Auge Albanos an den
Rieſenmaſſen des dämmernden Frühlings, an
dem unter dem durchſichtigen Mantel der Nacht
ſchlummernden Tag! Zephyre, die Schmetter¬
linge des Tags, flatterten ſchon um ihre lieben
Blumen und ſogen aus den Blüten und trugen
Weihrauch für den Morgen ein, eine ſchlaf¬
trunkne Lerche fuhr zuweilen in den ſtillen Him¬
mel hinauf mit dem lauten Tage in der Kehle,
über die dunkeln Auen und Stauden war ſchon
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[29/0037] rothwangigen Jünglings in die Augen. Er ſchluchzete an dieſer freudetrunknen Bruſt und Albano wurde weich, weil er dachte, er ſei es zu wenig und ſein Freund ſo ſehr. „Hinaus, hinaus!“ ſagte Karl; und das war lange Albano's Wunſch. Es ſchlug Ein Uhr, als ſie auf der engen Kellertreppe die Sterne des Frühlingshimmels oben an der Einfahrt des Schachtes blitzen ſahen. Wie friſch quoll die eingeathmete Nacht über die heiſſen Lippen! — Wie feſt bauete ſich über die flüchtigen Zeltgaſ¬ ſen der Stadt die Welt-Rotunda mit ihren feſten Sternenreihen dahin! Wie erquickte und er¬ weiterte ſich das feurige Auge Albanos an den Rieſenmaſſen des dämmernden Frühlings, an dem unter dem durchſichtigen Mantel der Nacht ſchlummernden Tag! Zephyre, die Schmetter¬ linge des Tags, flatterten ſchon um ihre lieben Blumen und ſogen aus den Blüten und trugen Weihrauch für den Morgen ein, eine ſchlaf¬ trunkne Lerche fuhr zuweilen in den ſtillen Him¬ mel hinauf mit dem lauten Tage in der Kehle, über die dunkeln Auen und Stauden war ſchon der Thau gegoſſen, deſſen Juwelenmeer vor

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/37>, abgerufen am 29.03.2024.