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Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801.

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brannten hell.... Julienne sah Albano, neben
welchem sie immer gleichsam gutmachend ge¬
blieben, herzlich an als ob es ihr Bruder wäre,
und Karl sagte zu Liane: "Schwester, Dein
"Abendlied!" -- "Von Herzen gern:" sagte
sie; denn sie war recht froh über die Gelegen¬
heit, sich mit dem wehmüthigen Ernst ihres Ge¬
nusses zu entfernen und drunten in der einsa¬
men Stube auf den Harmonikaglocken alles
laut zu sagen, was die Entzückung und die
Augen verschweigen.

Sie gieng hinab, das melodische Requiem
des Tages stieg herauf -- der Zephyr des Klan¬
ges, die Harmonika, flog wehend über die Gar¬
ten-Blüthen -- und die Töne wiegten sich auf
den dünnen Lilien des aufwachsenden Wassers
und die Silberlilien zersprangen oben vor Lust
und Sonne in flammige Blüthen -- und drüben
ruhte die Mutter Sonne lächelnd in einer Aue
und sah groß und zärtlich ihre Menschen
an. -- -- Hältst du denn dein Herz, Albano,
daß es mit seinen Freuden und Leiden verbor¬
gen bleibt, wenn du die stille Jungfrau im
Mondschein der Töne wandeln hörst? O

brannten hell.... Julienne ſah Albano, neben
welchem ſie immer gleichſam gutmachend ge¬
blieben, herzlich an als ob es ihr Bruder wäre,
und Karl ſagte zu Liane: „Schweſter, Dein
„Abendlied!“ — „Von Herzen gern:“ ſagte
ſie; denn ſie war recht froh über die Gelegen¬
heit, ſich mit dem wehmüthigen Ernſt ihres Ge¬
nuſſes zu entfernen und drunten in der einſa¬
men Stube auf den Harmonikaglocken alles
laut zu ſagen, was die Entzückung und die
Augen verſchweigen.

Sie gieng hinab, das melodiſche Requiem
des Tages ſtieg herauf — der Zephyr des Klan¬
ges, die Harmonika, flog wehend über die Gar¬
ten-Blüthen — und die Töne wiegten ſich auf
den dünnen Lilien des aufwachſenden Waſſers
und die Silberlilien zerſprangen oben vor Luſt
und Sonne in flammige Blüthen — und drüben
ruhte die Mutter Sonne lächelnd in einer Aue
und ſah groß und zärtlich ihre Menſchen
an. — — Hältſt du denn dein Herz, Albano,
daß es mit ſeinen Freuden und Leiden verbor¬
gen bleibt, wenn du die ſtille Jungfrau im
Mondſchein der Töne wandeln hörſt? O

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[105/0113] brannten hell.... Julienne ſah Albano, neben welchem ſie immer gleichſam gutmachend ge¬ blieben, herzlich an als ob es ihr Bruder wäre, und Karl ſagte zu Liane: „Schweſter, Dein „Abendlied!“ — „Von Herzen gern:“ ſagte ſie; denn ſie war recht froh über die Gelegen¬ heit, ſich mit dem wehmüthigen Ernſt ihres Ge¬ nuſſes zu entfernen und drunten in der einſa¬ men Stube auf den Harmonikaglocken alles laut zu ſagen, was die Entzückung und die Augen verſchweigen. Sie gieng hinab, das melodiſche Requiem des Tages ſtieg herauf — der Zephyr des Klan¬ ges, die Harmonika, flog wehend über die Gar¬ ten-Blüthen — und die Töne wiegten ſich auf den dünnen Lilien des aufwachſenden Waſſers und die Silberlilien zerſprangen oben vor Luſt und Sonne in flammige Blüthen — und drüben ruhte die Mutter Sonne lächelnd in einer Aue und ſah groß und zärtlich ihre Menſchen an. — — Hältſt du denn dein Herz, Albano, daß es mit ſeinen Freuden und Leiden verbor¬ gen bleibt, wenn du die ſtille Jungfrau im Mondſchein der Töne wandeln hörſt? O

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 2. Berlin, 1801, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan02_1801/113>, abgerufen am 06.05.2024.