"Wien, oder gar in einer brandenburgischen "Stadt dozirten und mit ihren Philanthro¬ "pisten gassatim giengen; von Magistrats we¬ "gen würde man sie haben befragen lassen, ob "sie nicht arbeiten könnten; und wären beide "mit Familie in Wezlar gewesen, so hätte man "dieser die Neglektengelder*) abgezogen. -- "Anlangend die Dichtkunst, H. Ritter, so kannt' "ich manchen Reichsbürger, der aus einem "Karmen -- wenns nicht auf ihn selber war -- "wenig machte; er glaubte die Eingriffe der "poetischen Freiheit in die Reichsfreiheit zu ken¬ "nen; ihn, der gewiß überall ordentlich, ge¬ "setzt, bedächtig, in sächsischen Fristen zu Werke "schritt, quälten und störten poetische Schwin¬ "gen sehr. -- Und ists denn so unerklärlich und so "schlimm?-- der gute Reichsstädter bindet eine "Serviette vor, wenn er weinen will, damit er "die Atlasweste nicht betropft, und die Thräne, "die ihm aufs Kondolenzschreiben entfallen, stip¬
*) So heißet das Quantum, daß man den Bei¬ sitzern des Kammergerichts, wenn sie nicht ge¬ nug gearbeitet haben, vorenthält.
„Wien, oder gar in einer brandenburgiſchen „Stadt dozirten und mit ihren Philanthro¬ „piſten gaſſatim giengen; von Magiſtrats we¬ „gen würde man ſie haben befragen laſſen, ob „ſie nicht arbeiten könnten; und wären beide „mit Familie in Wezlar geweſen, ſo hätte man „dieſer die Neglektengelder*) abgezogen. — „Anlangend die Dichtkunſt, H. Ritter, ſo kannt' „ich manchen Reichsbürger, der aus einem „Karmen — wenns nicht auf ihn ſelber war — „wenig machte; er glaubte die Eingriffe der „poetiſchen Freiheit in die Reichsfreiheit zu ken¬ „nen; ihn, der gewiß überall ordentlich, ge¬ „ſetzt, bedächtig, in ſächſiſchen Friſten zu Werke „ſchritt, quälten und ſtörten poetiſche Schwin¬ „gen ſehr. — Und iſts denn ſo unerklärlich und ſo „ſchlimm?— der gute Reichsſtädter bindet eine „Serviette vor, wenn er weinen will, damit er „die Atlasweſte nicht betropft, und die Thräne, „die ihm aufs Kondolenzſchreiben entfallen, ſtip¬
*) So heißet das Quantum, daß man den Bei¬ ſitzern des Kammergerichts, wenn ſie nicht ge¬ nug gearbeitet haben, vorenthält.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0092"n="72"/>„Wien, oder gar in einer brandenburgiſchen<lb/>„Stadt dozirten und mit ihren Philanthro¬<lb/>„piſten gaſſatim giengen; von Magiſtrats we¬<lb/>„gen würde man ſie haben befragen laſſen, ob<lb/>„ſie nicht arbeiten könnten; und wären beide<lb/>„mit Familie in Wezlar geweſen, ſo hätte man<lb/>„dieſer die <hirendition="#g">Neglektengelder</hi><noteplace="foot"n="*)">So heißet das Quantum, daß man den Bei¬<lb/>ſitzern des Kammergerichts, wenn ſie nicht ge¬<lb/>
nug gearbeitet haben, vorenthält.<lb/></note> abgezogen. —<lb/>„Anlangend die Dichtkunſt, H. Ritter, ſo kannt'<lb/>„ich manchen Reichsbürger, der aus einem<lb/>„Karmen — wenns nicht auf ihn ſelber war —<lb/>„wenig machte; er glaubte die Eingriffe der<lb/>„poetiſchen Freiheit in die Reichsfreiheit zu ken¬<lb/>„nen; ihn, der gewiß überall ordentlich, ge¬<lb/>„ſetzt, bedächtig, in ſächſiſchen Friſten zu Werke<lb/>„ſchritt, quälten und ſtörten poetiſche Schwin¬<lb/>„gen ſehr. — Und iſts denn ſo unerklärlich und ſo<lb/>„ſchlimm?— der gute Reichsſtädter bindet eine<lb/>„Serviette vor, wenn er weinen will, damit er<lb/>„die Atlasweſte nicht betropft, und die Thräne,<lb/>„die ihm aufs Kondolenzſchreiben entfallen, ſtip¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[72/0092]
„Wien, oder gar in einer brandenburgiſchen
„Stadt dozirten und mit ihren Philanthro¬
„piſten gaſſatim giengen; von Magiſtrats we¬
„gen würde man ſie haben befragen laſſen, ob
„ſie nicht arbeiten könnten; und wären beide
„mit Familie in Wezlar geweſen, ſo hätte man
„dieſer die Neglektengelder *) abgezogen. —
„Anlangend die Dichtkunſt, H. Ritter, ſo kannt'
„ich manchen Reichsbürger, der aus einem
„Karmen — wenns nicht auf ihn ſelber war —
„wenig machte; er glaubte die Eingriffe der
„poetiſchen Freiheit in die Reichsfreiheit zu ken¬
„nen; ihn, der gewiß überall ordentlich, ge¬
„ſetzt, bedächtig, in ſächſiſchen Friſten zu Werke
„ſchritt, quälten und ſtörten poetiſche Schwin¬
„gen ſehr. — Und iſts denn ſo unerklärlich und ſo
„ſchlimm?— der gute Reichsſtädter bindet eine
„Serviette vor, wenn er weinen will, damit er
„die Atlasweſte nicht betropft, und die Thräne,
„die ihm aufs Kondolenzſchreiben entfallen, ſtip¬
*) So heißet das Quantum, daß man den Bei¬
ſitzern des Kammergerichts, wenn ſie nicht ge¬
nug gearbeitet haben, vorenthält.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/92>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.