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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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Angst gerathe als gieng' ich mit hintennach.
Als wir ins Morgenzimmer, welches Papier¬
tapeten zu einer gegitterten Jelängerjelieber-
Laube ausfärbten, eintraten: saß bloß die Mi¬
nisterinn da, die uns gefällig aufnahm, mit
fester und kalter Haltung in Mine und Ton.
Ihre streng-geschlossenen und wenig bezeichne¬
ten Lippen thaten stumm einen Ernst, der die
Gabe des frommen Herzens, und eine Stille
kund, die der Schmuck der Schönheit ist -- wie
manche Flügel nur wenn sie zugefaltet sind,
Pfauenspiegel gießen -- und das Auge glänzte
im Wohlwollen der Vernunft; aber die Augen¬
lieder waren von harten Jahren tief und kränk¬
lich über die milden Blicke hereingezogen. Ach
wie zwischen Neuvermählten oft ein Schwerdt
trennend lag, so schlif Froulay täglich am
dreischneidigen, das ihn und sie absonderte.
Sonderbar stach mit dem hellen Nachsommer¬
tage auf ihrem Angesichte, das unreine Gewühl
auf seinem ab, wiewohl er vor Zeugen wie es
schien, seiner Höflichkeit gegen sie die Ironie
benahm und den Haß, wie andre die Liebe,
nur für die Einsamkeit aufhob.

Titan. I. Y

Angſt gerathe als gieng' ich mit hintennach.
Als wir ins Morgenzimmer, welches Papier¬
tapeten zu einer gegitterten Jelängerjelieber-
Laube ausfärbten, eintraten: ſaß bloß die Mi¬
niſterinn da, die uns gefällig aufnahm, mit
feſter und kalter Haltung in Mine und Ton.
Ihre ſtreng-geſchloſſenen und wenig bezeichne¬
ten Lippen thaten ſtumm einen Ernſt, der die
Gabe des frommen Herzens, und eine Stille
kund, die der Schmuck der Schönheit iſt — wie
manche Flügel nur wenn ſie zugefaltet ſind,
Pfauenſpiegel gießen — und das Auge glänzte
im Wohlwollen der Vernunft; aber die Augen¬
lieder waren von harten Jahren tief und kränk¬
lich über die milden Blicke hereingezogen. Ach
wie zwiſchen Neuvermählten oft ein Schwerdt
trennend lag, ſo ſchlif Froulay täglich am
dreiſchneidigen, das ihn und ſie abſonderte.
Sonderbar ſtach mit dem hellen Nachſommer¬
tage auf ihrem Angeſichte, das unreine Gewühl
auf ſeinem ab, wiewohl er vor Zeugen wie es
ſchien, ſeiner Höflichkeit gegen ſie die Ironie
benahm und den Haß, wie andre die Liebe,
nur für die Einſamkeit aufhob.

Titan. I. Y
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[337/0357] Angſt gerathe als gieng' ich mit hintennach. Als wir ins Morgenzimmer, welches Papier¬ tapeten zu einer gegitterten Jelängerjelieber- Laube ausfärbten, eintraten: ſaß bloß die Mi¬ niſterinn da, die uns gefällig aufnahm, mit feſter und kalter Haltung in Mine und Ton. Ihre ſtreng-geſchloſſenen und wenig bezeichne¬ ten Lippen thaten ſtumm einen Ernſt, der die Gabe des frommen Herzens, und eine Stille kund, die der Schmuck der Schönheit iſt — wie manche Flügel nur wenn ſie zugefaltet ſind, Pfauenſpiegel gießen — und das Auge glänzte im Wohlwollen der Vernunft; aber die Augen¬ lieder waren von harten Jahren tief und kränk¬ lich über die milden Blicke hereingezogen. Ach wie zwiſchen Neuvermählten oft ein Schwerdt trennend lag, ſo ſchlif Froulay täglich am dreiſchneidigen, das ihn und ſie abſonderte. Sonderbar ſtach mit dem hellen Nachſommer¬ tage auf ihrem Angeſichte, das unreine Gewühl auf ſeinem ab, wiewohl er vor Zeugen wie es ſchien, ſeiner Höflichkeit gegen ſie die Ironie benahm und den Haß, wie andre die Liebe, nur für die Einſamkeit aufhob. Titan. I. Y

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/357>, abgerufen am 22.11.2024.