Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

gen, und wenn Ein verschwistertes Paar seinem
so jungen Herzen zugleich den Freund und die
Freundinn gäbe. -- Hier verklang leise sein in¬
neres und sein äußeres Stürmen -- und die
gleichschwebende Temperatur des In¬
struments wurde die des Spielers. . . .

Aber eine Seele wie seine wird leichter vom
Schmerze befriedigt als vom Glücke. Als wäre
die Wirklichkeit da, so drang er weiter: unbe¬
schreiblich-hold und überirrdisch sah er Lianens
Bild in ihrem Leidenskelche zittern; denn die
Dornenkrone veredelt leicht zum Christuskopfe
und das Blut der unverdienten Wunde ist
Wangenroth am innern Menschen und die
Seele, die zu viel gelitten, wird leicht zu viel
geliebt. -- -- Die zarte Liane schien ihm schon
für die Flora der zweiten Welt in den Lei¬
chenschleier eingesponnen, wie die weichen Glie¬
der der Bienennymphe durchsichtig über der
kleinen Brust gefaltet liegen -- die weiße Ge¬
stalt aus Schnee, die einmal in seinem Traume
auf seinem Herzen zerronnen war, öffnete das
helle Wölkchen wieder und sah blind und wei¬
nend auf die Erde und sagte: "Albano, ich

gen, und wenn Ein verſchwiſtertes Paar ſeinem
ſo jungen Herzen zugleich den Freund und die
Freundinn gäbe. — Hier verklang leiſe ſein in¬
neres und ſein äußeres Stürmen — und die
gleichſchwebende Temperatur des In¬
ſtruments wurde die des Spielers. . . .

Aber eine Seele wie ſeine wird leichter vom
Schmerze befriedigt als vom Glücke. Als wäre
die Wirklichkeit da, ſo drang er weiter: unbe¬
ſchreiblich-hold und überirrdiſch ſah er Lianens
Bild in ihrem Leidenskelche zittern; denn die
Dornenkrone veredelt leicht zum Chriſtuskopfe
und das Blut der unverdienten Wunde iſt
Wangenroth am innern Menſchen und die
Seele, die zu viel gelitten, wird leicht zu viel
geliebt. — — Die zarte Liane ſchien ihm ſchon
für die Flora der zweiten Welt in den Lei¬
chenſchleier eingeſponnen, wie die weichen Glie¬
der der Bienennymphe durchſichtig über der
kleinen Bruſt gefaltet liegen — die weiße Ge¬
ſtalt aus Schnee, die einmal in ſeinem Traume
auf ſeinem Herzen zerronnen war, öffnete das
helle Wölkchen wieder und ſah blind und wei¬
nend auf die Erde und ſagte: „Albano, ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0346" n="326"/>
gen, und wenn Ein ver&#x017F;chwi&#x017F;tertes Paar &#x017F;einem<lb/>
&#x017F;o jungen Herzen zugleich den Freund und die<lb/>
Freundinn gäbe. &#x2014; Hier verklang lei&#x017F;e &#x017F;ein in¬<lb/>
neres und &#x017F;ein äußeres Stürmen &#x2014; und die<lb/><hi rendition="#g">gleich&#x017F;chwebende Temperatur</hi> des In¬<lb/>
&#x017F;truments wurde die des Spielers. . . .</p><lb/>
          <p>Aber eine Seele wie &#x017F;eine wird leichter vom<lb/>
Schmerze befriedigt als vom Glücke. Als wäre<lb/>
die Wirklichkeit da, &#x017F;o drang er weiter: unbe¬<lb/>
&#x017F;chreiblich-hold und überirrdi&#x017F;ch &#x017F;ah er Lianens<lb/>
Bild in ihrem Leidenskelche zittern; denn die<lb/>
Dornenkrone veredelt leicht zum Chri&#x017F;tuskopfe<lb/>
und das Blut der unverdienten Wunde i&#x017F;t<lb/>
Wangenroth am innern Men&#x017F;chen und die<lb/>
Seele, die zu viel gelitten, wird leicht zu viel<lb/>
geliebt. &#x2014; &#x2014; Die zarte Liane &#x017F;chien ihm &#x017F;chon<lb/>
für die <hi rendition="#g">Flora</hi> der zweiten Welt in den Lei¬<lb/>
chen&#x017F;chleier einge&#x017F;ponnen, wie die weichen Glie¬<lb/>
der der Bienennymphe durch&#x017F;ichtig über der<lb/>
kleinen Bru&#x017F;t gefaltet liegen &#x2014; die weiße Ge¬<lb/>
&#x017F;talt aus Schnee, die einmal in &#x017F;einem Traume<lb/>
auf &#x017F;einem Herzen zerronnen war, öffnete das<lb/>
helle Wölkchen wieder und &#x017F;ah blind und wei¬<lb/>
nend auf die Erde und &#x017F;agte: &#x201E;Albano, ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0346] gen, und wenn Ein verſchwiſtertes Paar ſeinem ſo jungen Herzen zugleich den Freund und die Freundinn gäbe. — Hier verklang leiſe ſein in¬ neres und ſein äußeres Stürmen — und die gleichſchwebende Temperatur des In¬ ſtruments wurde die des Spielers. . . . Aber eine Seele wie ſeine wird leichter vom Schmerze befriedigt als vom Glücke. Als wäre die Wirklichkeit da, ſo drang er weiter: unbe¬ ſchreiblich-hold und überirrdiſch ſah er Lianens Bild in ihrem Leidenskelche zittern; denn die Dornenkrone veredelt leicht zum Chriſtuskopfe und das Blut der unverdienten Wunde iſt Wangenroth am innern Menſchen und die Seele, die zu viel gelitten, wird leicht zu viel geliebt. — — Die zarte Liane ſchien ihm ſchon für die Flora der zweiten Welt in den Lei¬ chenſchleier eingeſponnen, wie die weichen Glie¬ der der Bienennymphe durchſichtig über der kleinen Bruſt gefaltet liegen — die weiße Ge¬ ſtalt aus Schnee, die einmal in ſeinem Traume auf ſeinem Herzen zerronnen war, öffnete das helle Wölkchen wieder und ſah blind und wei¬ nend auf die Erde und ſagte: „Albano, ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/346
Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/346>, abgerufen am 03.05.2024.