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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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Baume des Erkenntnisses früher die Tropfen
und die Käfer schütteln müssen als die Früchte.

Und nun macht' er ihm kühn alle Stuben¬
thüren der philosophischen Schulen auf, d. h.
alle drei Himmel; denn in dieser Jugendzeit
hält man noch den Docht jedes gelehrten Lich¬
tes der Welt für Asbest, wie Braminen sich in
Asbest kleiden -- und die Eisstücke an den Po¬
len unserer geistigen Welt stellen noch, wie die
der hiesigen, Städte und Tempel auf himmel¬
blauen Säulen vor.

Wenn nun Albano über irgend eine große
Idee, über die Unsterblichkeit, über die Gott¬
heit, sich in Flammen gelesen: so mußt' er dar¬
über schreiben, weil der Baumeister glaubte --
und ich auch --, daß in der erziehenden Welt
nichts über das Schreiben gehe, nicht einmal
Lesen und Sprechen, und daß ein Mensch
30 Jahre mit weniger Ertrag seiner Bildung
lese als ein halbes schreibe. Dadurch schwin¬
gen eben wir Autoren uns zu solchen Höhen;
-- daher werden sogar schlechte, wenn sie aus¬
halten, am Ende etwas und schreiben sich von

Baume des Erkenntniſſes früher die Tropfen
und die Käfer ſchütteln müſſen als die Früchte.

Und nun macht' er ihm kühn alle Stuben¬
thüren der philoſophiſchen Schulen auf, d. h.
alle drei Himmel; denn in dieſer Jugendzeit
hält man noch den Docht jedes gelehrten Lich¬
tes der Welt für Asbeſt, wie Braminen ſich in
Asbeſt kleiden — und die Eisſtücke an den Po¬
len unſerer geiſtigen Welt ſtellen noch, wie die
der hieſigen, Städte und Tempel auf himmel¬
blauen Säulen vor.

Wenn nun Albano über irgend eine große
Idee, über die Unſterblichkeit, über die Gott¬
heit, ſich in Flammen geleſen: ſo mußt' er dar¬
über ſchreiben, weil der Baumeiſter glaubte —
und ich auch —, daß in der erziehenden Welt
nichts über das Schreiben gehe, nicht einmal
Leſen und Sprechen, und daß ein Menſch
30 Jahre mit weniger Ertrag ſeiner Bildung
leſe als ein halbes ſchreibe. Dadurch ſchwin¬
gen eben wir Autoren uns zu ſolchen Höhen;
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[255/0275] Baume des Erkenntniſſes früher die Tropfen und die Käfer ſchütteln müſſen als die Früchte. Und nun macht' er ihm kühn alle Stuben¬ thüren der philoſophiſchen Schulen auf, d. h. alle drei Himmel; denn in dieſer Jugendzeit hält man noch den Docht jedes gelehrten Lich¬ tes der Welt für Asbeſt, wie Braminen ſich in Asbeſt kleiden — und die Eisſtücke an den Po¬ len unſerer geiſtigen Welt ſtellen noch, wie die der hieſigen, Städte und Tempel auf himmel¬ blauen Säulen vor. Wenn nun Albano über irgend eine große Idee, über die Unſterblichkeit, über die Gott¬ heit, ſich in Flammen geleſen: ſo mußt' er dar¬ über ſchreiben, weil der Baumeiſter glaubte — und ich auch —, daß in der erziehenden Welt nichts über das Schreiben gehe, nicht einmal Leſen und Sprechen, und daß ein Menſch 30 Jahre mit weniger Ertrag ſeiner Bildung leſe als ein halbes ſchreibe. Dadurch ſchwin¬ gen eben wir Autoren uns zu ſolchen Höhen; — daher werden ſogar ſchlechte, wenn ſie aus¬ halten, am Ende etwas und ſchreiben ſich von

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/275>, abgerufen am 17.09.2024.