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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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"und -- o Gott! -- sie weiß nicht, wo sie
"stehen." --

Aber der Vorhang des Mondes flatterte bald
seitwärts und sie lächelte den Schimmer heiter
an wie der blinde Milton in seinem ewigen
Gesange die Sonne oder wie ein Irrdischer den
ersten Glanz nach dem Leben. --

Eine Nachtigall, die bisher zwischen wei¬
ten Blumen einem leuchtenden Würmchen nach¬
hüpfend den Tönen im Zimmer nur mit ein¬
zelnen Wildrufen und Nachschlägen der Freude
geantwortet hatte, flog Lianen näher und die
geflügelte Zwergorgel riß auf einmal alle Flö¬
tenregister heraus, daß Liane im Vergessen
ihrer Blindheit niederblickte und Albano er¬
schrocken zurücktrat als sehe sie auf ihn. Da
wurde unter den Tönen des Bruders und der
Nachtigall ihr blasses, gleich der weißen Feder¬
nelke auf den Wangen leicht geröthetes Ange¬
sicht zart vom matten Blüthenroth der Rüh¬
rung überdeckt -- die Augenlieder zuckten öf¬
ter über die glänzenden Augen hin -- und
endlich wurde der Glanz eine ruhige Thräne
-- es war keine des Schmerzes noch der Freude

„und — o Gott! — ſie weiß nicht, wo ſie
„ſtehen.“ —

Aber der Vorhang des Mondes flatterte bald
ſeitwärts und ſie lächelte den Schimmer heiter
an wie der blinde Milton in ſeinem ewigen
Geſange die Sonne oder wie ein Irrdiſcher den
erſten Glanz nach dem Leben. —

Eine Nachtigall, die bisher zwiſchen wei¬
ten Blumen einem leuchtenden Würmchen nach¬
hüpfend den Tönen im Zimmer nur mit ein¬
zelnen Wildrufen und Nachſchlägen der Freude
geantwortet hatte, flog Lianen näher und die
geflügelte Zwergorgel riß auf einmal alle Flö¬
tenregiſter heraus, daß Liane im Vergeſſen
ihrer Blindheit niederblickte und Albano er¬
ſchrocken zurücktrat als ſehe ſie auf ihn. Da
wurde unter den Tönen des Bruders und der
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nelke auf den Wangen leicht geröthetes Ange¬
ſicht zart vom matten Blüthenroth der Rüh¬
rung überdeckt — die Augenlieder zuckten öf¬
ter über die glänzenden Augen hin — und
endlich wurde der Glanz eine ruhige Thräne
— es war keine des Schmerzes noch der Freude

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[354/0374] „und — o Gott! — ſie weiß nicht, wo ſie „ſtehen.“ — Aber der Vorhang des Mondes flatterte bald ſeitwärts und ſie lächelte den Schimmer heiter an wie der blinde Milton in ſeinem ewigen Geſange die Sonne oder wie ein Irrdiſcher den erſten Glanz nach dem Leben. — Eine Nachtigall, die bisher zwiſchen wei¬ ten Blumen einem leuchtenden Würmchen nach¬ hüpfend den Tönen im Zimmer nur mit ein¬ zelnen Wildrufen und Nachſchlägen der Freude geantwortet hatte, flog Lianen näher und die geflügelte Zwergorgel riß auf einmal alle Flö¬ tenregiſter heraus, daß Liane im Vergeſſen ihrer Blindheit niederblickte und Albano er¬ ſchrocken zurücktrat als ſehe ſie auf ihn. Da wurde unter den Tönen des Bruders und der Nachtigall ihr blaſſes, gleich der weißen Feder¬ nelke auf den Wangen leicht geröthetes Ange¬ ſicht zart vom matten Blüthenroth der Rüh¬ rung überdeckt — die Augenlieder zuckten öf¬ ter über die glänzenden Augen hin — und endlich wurde der Glanz eine ruhige Thräne — es war keine des Schmerzes noch der Freude

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/374>, abgerufen am 28.11.2024.