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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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man alles verzeihen will und die man noch ein we¬
nig zu lieben und zu erfreuen eilt, eh' sie sich
nicht mehr regt. Nicht das schmutzige eingedorte
Krankengesicht, nicht die von Fiebern weggebaizte
Lebensfarbe, nicht die Runzeln der Lippe warens
an Amandus (oder sinds an andern Kranken,)
was Gustavs Herz und Hofnungen zerschnitt, son¬
dern das schwer gedrehte, aufflackernde, wilde
und doch ausgebrannte verglasete Krankenauge,
in das alle Leiden seiner vorigen Nächte und die
Nähe der letzten so leserlich geschrieben waren.

Er streckte ihm seine Todtenhand weit her¬
aus entgegen, als ob es möglich wäre daß jemand
anders als er sich noch an die fremde schwarze
Todtenhand erinnerte, die er ihm neulich gereicht.
Für Amandus war die Wiedervereinigung süßer als
für Gustav, der hinter ihr die lange Trennung
warten sah.

Der Morgen und die Freude hielten den Vor¬
hang seines Lebens ein wenig im Niederfallen auf.
Gustav trat als Krankenwärter an die Stelle der
Krankenwärterin, erstlich weil diese alles so gut
und mit so vielen Umständen und Randnoten zu
machen wuste, daß sie noch in seine letzten Minu¬

man alles verzeihen will und die man noch ein we¬
nig zu lieben und zu erfreuen eilt, eh' ſie ſich
nicht mehr regt. Nicht das ſchmutzige eingedorte
Krankengeſicht, nicht die von Fiebern weggebaizte
Lebensfarbe, nicht die Runzeln der Lippe warens
an Amandus (oder ſinds an andern Kranken,)
was Guſtavs Herz und Hofnungen zerſchnitt, ſon¬
dern das ſchwer gedrehte, aufflackernde, wilde
und doch ausgebrannte verglaſete Krankenauge,
in das alle Leiden ſeiner vorigen Naͤchte und die
Naͤhe der letzten ſo leſerlich geſchrieben waren.

Er ſtreckte ihm ſeine Todtenhand weit her¬
aus entgegen, als ob es moͤglich waͤre daß jemand
anders als er ſich noch an die fremde ſchwarze
Todtenhand erinnerte, die er ihm neulich gereicht.
Fuͤr Amandus war die Wiedervereinigung ſuͤßer als
fuͤr Guſtav, der hinter ihr die lange Trennung
warten ſah.

Der Morgen und die Freude hielten den Vor¬
hang ſeines Lebens ein wenig im Niederfallen auf.
Guſtav trat als Krankenwaͤrter an die Stelle der
Krankenwaͤrterin, erſtlich weil dieſe alles ſo gut
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[85/0095] man alles verzeihen will und die man noch ein we¬ nig zu lieben und zu erfreuen eilt, eh' ſie ſich nicht mehr regt. Nicht das ſchmutzige eingedorte Krankengeſicht, nicht die von Fiebern weggebaizte Lebensfarbe, nicht die Runzeln der Lippe warens an Amandus (oder ſinds an andern Kranken,) was Guſtavs Herz und Hofnungen zerſchnitt, ſon¬ dern das ſchwer gedrehte, aufflackernde, wilde und doch ausgebrannte verglaſete Krankenauge, in das alle Leiden ſeiner vorigen Naͤchte und die Naͤhe der letzten ſo leſerlich geſchrieben waren. Er ſtreckte ihm ſeine Todtenhand weit her¬ aus entgegen, als ob es moͤglich waͤre daß jemand anders als er ſich noch an die fremde ſchwarze Todtenhand erinnerte, die er ihm neulich gereicht. Fuͤr Amandus war die Wiedervereinigung ſuͤßer als fuͤr Guſtav, der hinter ihr die lange Trennung warten ſah. Der Morgen und die Freude hielten den Vor¬ hang ſeines Lebens ein wenig im Niederfallen auf. Guſtav trat als Krankenwaͤrter an die Stelle der Krankenwaͤrterin, erſtlich weil dieſe alles ſo gut und mit ſo vielen Umſtaͤnden und Randnoten zu machen wuſte, daß ſie noch in ſeine letzten Minu¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/95>, abgerufen am 22.11.2024.