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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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solche Tugend- und Heiligen-Stürmer zu beschä¬
nem, geschweige zu bekehren; wen unter diesen
Herodes-Beschimpfungen seiner Heilandin
nicht einmal der Stolz aufrichtete, der zwar gern
mit uns auf unserm besondern Zimmer isset, aber
an der table d'hote aus unserem Innern eilt -- --
bloß also wer in solchen Lagen keuchte, kann sich
Gustavs Alpdrücken in der seinen denken.

Selbst Beatens Angesicht, das die Parthei
der Tugend und der Liebe nahm, konnt' ihn nicht
gegen jene persiflierenden Frostgesichter decken, aus
denen wie aus Gletscher Spalten bei wechselnder
Witterung, schneidende Winde bliesen und die das
Herz zerphilosophierten und das Gefühl des
eignen Werths zerrissen: in Gustavs Alter machen
die Gustave zwei grundfalsche Syllogismen -- sie
suchen erstlich unter jeder tugendhaften Zunge ein
tugendhaftes Herz, zweitens aber auch unter je¬
der schlimmen ein schlimmes.

Gustav würde wenig darnach gefragt haben,
daß er nicht viel antworten, geschweige fragen
konnte, wären ihm nicht zwei Ohren gegenüber
gesessen, die etwas bessers werth waren als was

ſolche Tugend- und Heiligen-Stuͤrmer zu beſchaͤ¬
nem, geſchweige zu bekehren; wen unter dieſen
Herodes-Beſchimpfungen ſeiner Heilandin
nicht einmal der Stolz aufrichtete, der zwar gern
mit uns auf unſerm beſondern Zimmer iſſet, aber
an der table d'hôte aus unſerem Innern eilt — —
bloß alſo wer in ſolchen Lagen keuchte, kann ſich
Guſtavs Alpdruͤcken in der ſeinen denken.

Selbſt Beatens Angeſicht, das die Parthei
der Tugend und der Liebe nahm, konnt' ihn nicht
gegen jene perſiflierenden Froſtgeſichter decken, aus
denen wie aus Gletſcher Spalten bei wechſelnder
Witterung, ſchneidende Winde blieſen und die das
Herz zerphiloſophierten und das Gefuͤhl des
eignen Werths zerriſſen: in Guſtavs Alter machen
die Guſtave zwei grundfalſche Syllogiſmen — ſie
ſuchen erſtlich unter jeder tugendhaften Zunge ein
tugendhaftes Herz, zweitens aber auch unter je¬
der ſchlimmen ein ſchlimmes.

Guſtav wuͤrde wenig darnach gefragt haben,
daß er nicht viel antworten, geſchweige fragen
konnte, waͤren ihm nicht zwei Ohren gegenuͤber
geſeſſen, die etwas beſſers werth waren als was

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[76/0086] ſolche Tugend- und Heiligen-Stuͤrmer zu beſchaͤ¬ nem, geſchweige zu bekehren; wen unter dieſen Herodes-Beſchimpfungen ſeiner Heilandin nicht einmal der Stolz aufrichtete, der zwar gern mit uns auf unſerm beſondern Zimmer iſſet, aber an der table d'hôte aus unſerem Innern eilt — — bloß alſo wer in ſolchen Lagen keuchte, kann ſich Guſtavs Alpdruͤcken in der ſeinen denken. Selbſt Beatens Angeſicht, das die Parthei der Tugend und der Liebe nahm, konnt' ihn nicht gegen jene perſiflierenden Froſtgeſichter decken, aus denen wie aus Gletſcher Spalten bei wechſelnder Witterung, ſchneidende Winde blieſen und die das Herz zerphiloſophierten und das Gefuͤhl des eignen Werths zerriſſen: in Guſtavs Alter machen die Guſtave zwei grundfalſche Syllogiſmen — ſie ſuchen erſtlich unter jeder tugendhaften Zunge ein tugendhaftes Herz, zweitens aber auch unter je¬ der ſchlimmen ein ſchlimmes. Guſtav wuͤrde wenig darnach gefragt haben, daß er nicht viel antworten, geſchweige fragen konnte, waͤren ihm nicht zwei Ohren gegenuͤber geſeſſen, die etwas beſſers werth waren als was

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/86>, abgerufen am 22.11.2024.