eignen Regenbogen, so an ihr seine eigne Tugend. Ehre und Tugend waren bei ihr keine leeren Wör¬ ter sondern hiessen (ganz gegen die Kantische Schu¬ le) der Zeit-Zwischenraum zwischen ihrem Nein und ihrem Ja, oft bloß der Ort-Zwi¬ schenraum. Ich sagte oben, sie hatte immer eine Ohnmacht, wenn der Montag ihrer Tugend war. Es lässet sich aber erklären: ihr Körper und ihre Tugend sind an einem Tag und von ei¬ ner Mutter geboren und wahre Zwillinge, wie die Gebrüder Kastor und Pollux -- nun ist der erstere wie Kastor menschlich und sterblich, und die andre wie Pollux göttlich und unsterblich -- wie nun je¬ ne mythologische Brüderschaft es pfiffig machte und Sterblichkeit und Unsterblichkeit gegen einander hal¬ birten, um mit einander in Gesellschaft eine Zeit¬ lang todt und eine Zeitlang lebendig zu seyn: so macht es ihr Körper und ihre Tugend eben so li¬ stig, beide sterben allezeit mit einander, um nach¬ her mit einander wieder zu leben. -- Das artisti¬ sche Sterben solcher Damen lässet sich noch von ei¬ ner andern Seite anschauen: eine solche Frau kann über die Stärke und die Proben ihrer Tugend eine Freude haben, die bis zur Ohnmacht gehen kann;
eignen Regenbogen, ſo an ihr ſeine eigne Tugend. Ehre und Tugend waren bei ihr keine leeren Woͤr¬ ter ſondern hieſſen (ganz gegen die Kantiſche Schu¬ le) der Zeit-Zwiſchenraum zwiſchen ihrem Nein und ihrem Ja, oft bloß der Ort-Zwi¬ ſchenraum. Ich ſagte oben, ſie hatte immer eine Ohnmacht, wenn der Montag ihrer Tugend war. Es laͤſſet ſich aber erklaͤren: ihr Koͤrper und ihre Tugend ſind an einem Tag und von ei¬ ner Mutter geboren und wahre Zwillinge, wie die Gebruͤder Kaſtor und Pollux — nun iſt der erſtere wie Kaſtor menſchlich und ſterblich, und die andre wie Pollux goͤttlich und unſterblich — wie nun je¬ ne mythologiſche Bruͤderſchaft es pfiffig machte und Sterblichkeit und Unſterblichkeit gegen einander hal¬ birten, um mit einander in Geſellſchaft eine Zeit¬ lang todt und eine Zeitlang lebendig zu ſeyn: ſo macht es ihr Koͤrper und ihre Tugend eben ſo li¬ ſtig, beide ſterben allezeit mit einander, um nach¬ her mit einander wieder zu leben. — Das artiſti¬ ſche Sterben ſolcher Damen laͤſſet ſich noch von ei¬ ner andern Seite anſchauen: eine ſolche Frau kann uͤber die Staͤrke und die Proben ihrer Tugend eine Freude haben, die bis zur Ohnmacht gehen kann;
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eignen Regenbogen, ſo an ihr ſeine eigne Tugend.
Ehre und Tugend waren bei ihr keine leeren Woͤr¬
ter ſondern hieſſen (ganz gegen die Kantiſche Schu¬
le) der Zeit-Zwiſchenraum zwiſchen ihrem
Nein und ihrem Ja, oft bloß der Ort-Zwi¬
ſchenraum. Ich ſagte oben, ſie hatte immer
eine Ohnmacht, wenn der Montag ihrer Tugend
war. Es laͤſſet ſich aber erklaͤren: ihr Koͤrper
und ihre Tugend ſind an einem Tag und von ei¬
ner Mutter geboren und wahre Zwillinge, wie die
Gebruͤder Kaſtor und Pollux — nun iſt der erſtere
wie Kaſtor menſchlich und ſterblich, und die andre
wie Pollux goͤttlich und unſterblich — wie nun je¬
ne mythologiſche Bruͤderſchaft es pfiffig machte und
Sterblichkeit und Unſterblichkeit gegen einander hal¬
birten, um mit einander in Geſellſchaft eine Zeit¬
lang todt und eine Zeitlang lebendig zu ſeyn: ſo
macht es ihr Koͤrper und ihre Tugend eben ſo li¬
ſtig, beide ſterben allezeit mit einander, um nach¬
her mit einander wieder zu leben. — Das artiſti¬
ſche Sterben ſolcher Damen laͤſſet ſich noch von ei¬
ner andern Seite anſchauen: eine ſolche Frau kann
uͤber die Staͤrke und die Proben ihrer Tugend eine
Freude haben, die bis zur Ohnmacht gehen kann;
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/51>, abgerufen am 07.05.2024.
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