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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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ne ziehen, es wird das Morgenroth kommen, es
wird der Abendstern schimmern, aber die Menschen
alle werden tief schlafen auf deinen vier Welt-Ar¬
men und nichts mehr sehen . . . . Alle -- werden
es? -- Ach dann lege eine höhere tröstende Hand
unserem Mitbruder, der zuletzt entschläft, den
letzten Schleier ohne Zögern über das einsame
Auge . . . .

. . . . Das Abendroth schimmert schon in Nor¬
den -- auch in meiner Seele ist die Sonne hinun¬
ter und am Rande zucket rothes Licht und mein
Ich wird finster -- die Welt vor mir liegt in einem
festen Schlafe und hört und redet nicht -- es se¬
tzet sich in mir zusammen eine bleiche Welt aus
Todtengebeinen -- die alten Stunden stäuben sich
ab -- es brauset wie wenn an den Gränzen der Erde ei¬
ne Vernichtung anfienge und ich herüberhörte das Zer¬
brechen einer Sonne -- der Strom stockt und alles
ist stille -- ein schwarzer Regenbogen krümmt sich
aus Gewittern zusammen über diese hülflose Er¬
de. -- --

-- -- Siehe! es tritt eine Gestalt unter den
schwarzen Bogen, es schreitet über die Junius¬
blumen ungehört ein unermeßliches Skelet und geht

ne ziehen, es wird das Morgenroth kommen, es
wird der Abendſtern ſchimmern, aber die Menſchen
alle werden tief ſchlafen auf deinen vier Welt-Ar¬
men und nichts mehr ſehen . . . . Alle — werden
es? — Ach dann lege eine hoͤhere troͤſtende Hand
unſerem Mitbruder, der zuletzt entſchlaͤft, den
letzten Schleier ohne Zoͤgern uͤber das einſame
Auge . . . .

. . . . Das Abendroth ſchimmert ſchon in Nor¬
den — auch in meiner Seele iſt die Sonne hinun¬
ter und am Rande zucket rothes Licht und mein
Ich wird finſter — die Welt vor mir liegt in einem
feſten Schlafe und hoͤrt und redet nicht — es ſe¬
tzet ſich in mir zuſammen eine bleiche Welt aus
Todtengebeinen — die alten Stunden ſtaͤuben ſich
ab — es brauſet wie wenn an den Graͤnzen der Erde ei¬
ne Vernichtung anfienge und ich heruͤberhoͤrte das Zer¬
brechen einer Sonne — der Strom ſtockt und alles
iſt ſtille — ein ſchwarzer Regenbogen kruͤmmt ſich
aus Gewittern zuſammen uͤber dieſe huͤlfloſe Er¬
de. — —

— — Siehe! es tritt eine Geſtalt unter den
ſchwarzen Bogen, es ſchreitet uͤber die Junius¬
blumen ungehoͤrt ein unermeßliches Skelet und geht

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[454/0464] ne ziehen, es wird das Morgenroth kommen, es wird der Abendſtern ſchimmern, aber die Menſchen alle werden tief ſchlafen auf deinen vier Welt-Ar¬ men und nichts mehr ſehen . . . . Alle — werden es? — Ach dann lege eine hoͤhere troͤſtende Hand unſerem Mitbruder, der zuletzt entſchlaͤft, den letzten Schleier ohne Zoͤgern uͤber das einſame Auge . . . . . . . . Das Abendroth ſchimmert ſchon in Nor¬ den — auch in meiner Seele iſt die Sonne hinun¬ ter und am Rande zucket rothes Licht und mein Ich wird finſter — die Welt vor mir liegt in einem feſten Schlafe und hoͤrt und redet nicht — es ſe¬ tzet ſich in mir zuſammen eine bleiche Welt aus Todtengebeinen — die alten Stunden ſtaͤuben ſich ab — es brauſet wie wenn an den Graͤnzen der Erde ei¬ ne Vernichtung anfienge und ich heruͤberhoͤrte das Zer¬ brechen einer Sonne — der Strom ſtockt und alles iſt ſtille — ein ſchwarzer Regenbogen kruͤmmt ſich aus Gewittern zuſammen uͤber dieſe huͤlfloſe Er¬ de. — — — — Siehe! es tritt eine Geſtalt unter den ſchwarzen Bogen, es ſchreitet uͤber die Junius¬ blumen ungehoͤrt ein unermeßliches Skelet und geht

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/464>, abgerufen am 22.11.2024.