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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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das ich sogleich spezificieren werde, auf dem Deck¬
bette vor sich. Ein Kranker thut wie ein Reisen¬
der -- und was ist er anders -- sogleich mit jedem
bekannt: so nahe mit dem Fuße und Auge an
erhabnern Welten macht man in dieser räudigen
keine Umstände mehr. Er klagte, es hätte sich sei¬
ne Alte schon seit drei Tagen nach einem Bücher¬
schreiber umschauen müssen, hätt' aber keinen er¬
tapt außer jezt; "er müss' aber einen haben, der
seine Bibliothek übernähme, ordnete und inven¬
tierte und der an seine Biographie, die in der
ganzen Bibliothek wäre, seine letzten Stunden,
falls er sie jezt hätte, zur Kompletirung gar hin
anstieße: denn seine Alte wäre keine Gelehrtin und
seinen Sohn hätt' er auf drei -- Wochen auf die
Universität Heidelberg gelassen."

Seine Runzeln-Aussaat gab seinem runden
kleinen Gesichtgen äußerst fröhliche Lichter; jede
Runzel schien ein lächelnder Mund: aber es gefiel
mir und meiner Semiotik nicht, daß seine Augen
so blitzten, seine Augenbraunen und Mund-Ecken
so zuckten und seine Lippen so zitterten.

Ich will mein Versprechen der Spezifikation
halten: auf dem Deckbette lag eine grüntaftne

Kin¬

das ich ſogleich ſpezificieren werde, auf dem Deck¬
bette vor ſich. Ein Kranker thut wie ein Reiſen¬
der — und was iſt er anders — ſogleich mit jedem
bekannt: ſo nahe mit dem Fuße und Auge an
erhabnern Welten macht man in dieſer raͤudigen
keine Umſtaͤnde mehr. Er klagte, es haͤtte ſich ſei¬
ne Alte ſchon ſeit drei Tagen nach einem Buͤcher¬
ſchreiber umſchauen muͤſſen, haͤtt' aber keinen er¬
tapt außer jezt; „er muͤſſ' aber einen haben, der
ſeine Bibliothek uͤbernaͤhme, ordnete und inven¬
tierte und der an ſeine Biographie, die in der
ganzen Bibliothek waͤre, ſeine letzten Stunden,
falls er ſie jezt haͤtte, zur Kompletirung gar hin
anſtieße: denn ſeine Alte waͤre keine Gelehrtin und
ſeinen Sohn haͤtt' er auf drei — Wochen auf die
Univerſitaͤt Heidelberg gelaſſen.“

Seine Runzeln-Ausſaat gab ſeinem runden
kleinen Geſichtgen aͤußerſt froͤhliche Lichter; jede
Runzel ſchien ein laͤchelnder Mund: aber es gefiel
mir und meiner Semiotik nicht, daß ſeine Augen
ſo blitzten, ſeine Augenbraunen und Mund-Ecken
ſo zuckten und ſeine Lippen ſo zitterten.

Ich will mein Verſprechen der Spezifikation
halten: auf dem Deckbette lag eine gruͤntaftne

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[432/0442] das ich ſogleich ſpezificieren werde, auf dem Deck¬ bette vor ſich. Ein Kranker thut wie ein Reiſen¬ der — und was iſt er anders — ſogleich mit jedem bekannt: ſo nahe mit dem Fuße und Auge an erhabnern Welten macht man in dieſer raͤudigen keine Umſtaͤnde mehr. Er klagte, es haͤtte ſich ſei¬ ne Alte ſchon ſeit drei Tagen nach einem Buͤcher¬ ſchreiber umſchauen muͤſſen, haͤtt' aber keinen er¬ tapt außer jezt; „er muͤſſ' aber einen haben, der ſeine Bibliothek uͤbernaͤhme, ordnete und inven¬ tierte und der an ſeine Biographie, die in der ganzen Bibliothek waͤre, ſeine letzten Stunden, falls er ſie jezt haͤtte, zur Kompletirung gar hin anſtieße: denn ſeine Alte waͤre keine Gelehrtin und ſeinen Sohn haͤtt' er auf drei — Wochen auf die Univerſitaͤt Heidelberg gelaſſen.“ Seine Runzeln-Ausſaat gab ſeinem runden kleinen Geſichtgen aͤußerſt froͤhliche Lichter; jede Runzel ſchien ein laͤchelnder Mund: aber es gefiel mir und meiner Semiotik nicht, daß ſeine Augen ſo blitzten, ſeine Augenbraunen und Mund-Ecken ſo zuckten und ſeine Lippen ſo zitterten. Ich will mein Verſprechen der Spezifikation halten: auf dem Deckbette lag eine gruͤntaftne Kin¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/442>, abgerufen am 22.11.2024.