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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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tung, die sich weniger durch Thun als durch Unter¬
lassen offenbaret, die sich wechselseitig erräth, die
auf beide Seelen (bis zum Erstaunen) die nämlichen
Saiten zieht, die die edelsten Empfindungen mit ei¬
nem neuen Feuer höher tragt, die immer aufopfern,
nie bekommen will, die der Liebe gegen das ganze
Geschlecht nichts nimmt sondern alles giebt durch
das Individuum, diese Liebe ist eine Achtung, in der
der Druck der Hände und der Lippen sehr entbehrliche
Bestandtheile sind und gute Handlungen sehr wesent¬
liche, kurz eine Achtung die vom grössern Theile der
Menschen ausgehöhnet und vom kleinsten tief geeh¬
ret werden muß -- -- Eine solche herzerhöhende Ach¬
tung war Gustavs Liebe, die gute Augenzeugen
nicht nur vertrug sondern auch interessierte und
wärmte, weil sie ohne jenes unschuldig-sinnliche
Getändel mit Lippen und Händen war, woran der
Zuschauer gerade so viel Antheil wie am Rollenmäßi¬
gen theatralischen Viktualien der Schauspieler neh¬
men kann. -- Ein Zeichen der tugendhaften Ach¬
tung oder Liebe ist das, wenn der Zuschauer desto
mehr Interesse daran findet, je grösser sie ist. Gus¬
tavs Liebe hatte -- seit seinem Petrus Falle und noch
mehr seit der Vergebung dieses Falls (denn viele

tung, die ſich weniger durch Thun als durch Unter¬
laſſen offenbaret, die ſich wechſelſeitig erraͤth, die
auf beide Seelen (bis zum Erſtaunen) die naͤmlichen
Saiten zieht, die die edelſten Empfindungen mit ei¬
nem neuen Feuer hoͤher tragt, die immer aufopfern,
nie bekommen will, die der Liebe gegen das ganze
Geſchlecht nichts nimmt ſondern alles giebt durch
das Individuum, dieſe Liebe iſt eine Achtung, in der
der Druck der Haͤnde und der Lippen ſehr entbehrliche
Beſtandtheile ſind und gute Handlungen ſehr weſent¬
liche, kurz eine Achtung die vom groͤſſern Theile der
Menſchen ausgehoͤhnet und vom kleinſten tief geeh¬
ret werden muß — — Eine ſolche herzerhoͤhende Ach¬
tung war Guſtavs Liebe, die gute Augenzeugen
nicht nur vertrug ſondern auch intereſſierte und
waͤrmte, weil ſie ohne jenes unſchuldig-ſinnliche
Getaͤndel mit Lippen und Haͤnden war, woran der
Zuſchauer gerade ſo viel Antheil wie am Rollenmaͤßi¬
gen theatraliſchen Viktualien der Schauſpieler neh¬
men kann. — Ein Zeichen der tugendhaften Ach¬
tung oder Liebe iſt das, wenn der Zuſchauer deſto
mehr Intereſſe daran findet, je groͤſſer ſie iſt. Guſ¬
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[335/0345] tung, die ſich weniger durch Thun als durch Unter¬ laſſen offenbaret, die ſich wechſelſeitig erraͤth, die auf beide Seelen (bis zum Erſtaunen) die naͤmlichen Saiten zieht, die die edelſten Empfindungen mit ei¬ nem neuen Feuer hoͤher tragt, die immer aufopfern, nie bekommen will, die der Liebe gegen das ganze Geſchlecht nichts nimmt ſondern alles giebt durch das Individuum, dieſe Liebe iſt eine Achtung, in der der Druck der Haͤnde und der Lippen ſehr entbehrliche Beſtandtheile ſind und gute Handlungen ſehr weſent¬ liche, kurz eine Achtung die vom groͤſſern Theile der Menſchen ausgehoͤhnet und vom kleinſten tief geeh¬ ret werden muß — — Eine ſolche herzerhoͤhende Ach¬ tung war Guſtavs Liebe, die gute Augenzeugen nicht nur vertrug ſondern auch intereſſierte und waͤrmte, weil ſie ohne jenes unſchuldig-ſinnliche Getaͤndel mit Lippen und Haͤnden war, woran der Zuſchauer gerade ſo viel Antheil wie am Rollenmaͤßi¬ gen theatraliſchen Viktualien der Schauſpieler neh¬ men kann. — Ein Zeichen der tugendhaften Ach¬ tung oder Liebe iſt das, wenn der Zuſchauer deſto mehr Intereſſe daran findet, je groͤſſer ſie iſt. Guſ¬ tavs Liebe hatte — ſeit ſeinem Petrus Falle und noch mehr ſeit der Vergebung dieſes Falls (denn viele

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/345>, abgerufen am 22.11.2024.