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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793.

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"Sie sind, (sagt' er mit einer feinen Miene, die
einen andern Sinn in Beatens Rede legen sollte) ein
wenig Egoistin. -- Das ist Ihr Talent nicht --
Ihres muß seyn, nicht allein zu seyn. Sie ver¬
bargen bisher Ihr Gesicht wie Ihr Herz; glauben
Sie daß an meinem Hofe niemand werth ist, bei¬
de zu bewundern und zu sehen?" -- Für Beata,
die glaubte sie hätte nicht nöthig bescheiden zu seyn
sondern demüthig, war ein solches Lob so groß,
daß sie gar nicht daran dachte, es zu widerlegen.
Sein Blick sah nach einer Antwort; aber sie gab
ihm überhaupt so selten als möglich eine, weil je¬
der Schritt die alte Schlinge mit in die neue trägt.
Er hatte ihre Hand anfangs mit der Miene ge¬
sucht, womit man sie einem Kranken nimmt: sie
hatte sie ihm gleichgültig gelassen; aber wie einen
todten Handschuh hatte sie ihre in seine gebettet
-- alle seine Gefühlspitzen konnten nicht das gering¬
ste Regsame an ihr aushorchen; sie zog sie weder
langsam noch hurtig bei der nächsten Erweiterung
aus der rostigen Scheide heraus.

Der Tanz, der Tag, die Nacht, die Stille
gaben seinen Worten heute mehr Feuer als sonst
darinnen lag. "Die Loose -- sagt' er und spielte

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„Sie ſind, (ſagt' er mit einer feinen Miene, die
einen andern Sinn in Beatens Rede legen ſollte) ein
wenig Egoiſtin. — Das iſt Ihr Talent nicht —
Ihres muß ſeyn, nicht allein zu ſeyn. Sie ver¬
bargen bisher Ihr Geſicht wie Ihr Herz; glauben
Sie daß an meinem Hofe niemand werth iſt, bei¬
de zu bewundern und zu ſehen?“ — Fuͤr Beata,
die glaubte ſie haͤtte nicht noͤthig beſcheiden zu ſeyn
ſondern demuͤthig, war ein ſolches Lob ſo groß,
daß ſie gar nicht daran dachte, es zu widerlegen.
Sein Blick ſah nach einer Antwort; aber ſie gab
ihm uͤberhaupt ſo ſelten als moͤglich eine, weil je¬
der Schritt die alte Schlinge mit in die neue traͤgt.
Er hatte ihre Hand anfangs mit der Miene ge¬
ſucht, womit man ſie einem Kranken nimmt: ſie
hatte ſie ihm gleichguͤltig gelaſſen; aber wie einen
todten Handſchuh hatte ſie ihre in ſeine gebettet
— alle ſeine Gefuͤhlſpitzen konnten nicht das gering¬
ſte Regſame an ihr aushorchen; ſie zog ſie weder
langſam noch hurtig bei der naͤchſten Erweiterung
aus der roſtigen Scheide heraus.

Der Tanz, der Tag, die Nacht, die Stille
gaben ſeinen Worten heute mehr Feuer als ſonſt
darinnen lag. „Die Looſe — ſagt' er und ſpielte

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[227/0237] „Sie ſind, (ſagt' er mit einer feinen Miene, die einen andern Sinn in Beatens Rede legen ſollte) ein wenig Egoiſtin. — Das iſt Ihr Talent nicht — Ihres muß ſeyn, nicht allein zu ſeyn. Sie ver¬ bargen bisher Ihr Geſicht wie Ihr Herz; glauben Sie daß an meinem Hofe niemand werth iſt, bei¬ de zu bewundern und zu ſehen?“ — Fuͤr Beata, die glaubte ſie haͤtte nicht noͤthig beſcheiden zu ſeyn ſondern demuͤthig, war ein ſolches Lob ſo groß, daß ſie gar nicht daran dachte, es zu widerlegen. Sein Blick ſah nach einer Antwort; aber ſie gab ihm uͤberhaupt ſo ſelten als moͤglich eine, weil je¬ der Schritt die alte Schlinge mit in die neue traͤgt. Er hatte ihre Hand anfangs mit der Miene ge¬ ſucht, womit man ſie einem Kranken nimmt: ſie hatte ſie ihm gleichguͤltig gelaſſen; aber wie einen todten Handſchuh hatte ſie ihre in ſeine gebettet — alle ſeine Gefuͤhlſpitzen konnten nicht das gering¬ ſte Regſame an ihr aushorchen; ſie zog ſie weder langſam noch hurtig bei der naͤchſten Erweiterung aus der roſtigen Scheide heraus. Der Tanz, der Tag, die Nacht, die Stille gaben ſeinen Worten heute mehr Feuer als ſonſt darinnen lag. „Die Looſe — ſagt' er und ſpielte P 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/237>, abgerufen am 04.05.2024.