häßliche Gedanken rückten vor mir grinzend vor¬ über, die kein Gesunder kennt, keiner nachschaft, keiner erträgt, und die bloß liegende Krankensee¬ len anbellen. Wäre kein Schöpfer: so müst' ich vor den verborgnen Angst-Saiten erzittern, die im Menschen aufgezogen sind und an denen ein feindseliges Wesen reissen könnte. Aber nein! du allgütiges Wesen! du hältst deine Hand über un¬ sre Anlage zur Quaal und legest das Erden-Herz, worüber diese Saiten aufgewunden sind, ausein¬ ander, wenn sie zu heftig beben! . . .
Der Kampf meiner Natur wurde endlich zu einem ohnmächtigen Schlummer, aus dem so vie¬ le bloß erwachen, um unter der Erde zu sterben. Darin trug man mich in die isolierte Kirche! der Fürst und mein Spitz waren mit dabei; aber bloß der erstere gieng wieder. Ich lag vielleicht die hal¬ be Nacht, bis das Leben durch mich zuckte. Mein erster Gedanke riß der Seele immer auseinander. Von ungefähr trat der Hund auf mein Gesicht: plötzlich senkte sich eine Beklemmung, wie wenn eine Riesenhand meine Brust böge, tief auf mich herein und ein Sargdeckel schien mir wie ein auf¬ gehobnes Rad über mir zu stehen . . . Schon die
haͤßliche Gedanken ruͤckten vor mir grinzend vor¬ uͤber, die kein Geſunder kennt, keiner nachſchaft, keiner ertraͤgt, und die bloß liegende Krankenſee¬ len anbellen. Waͤre kein Schoͤpfer: ſo muͤſt' ich vor den verborgnen Angſt-Saiten erzittern, die im Menſchen aufgezogen ſind und an denen ein feindſeliges Weſen reiſſen koͤnnte. Aber nein! du allguͤtiges Weſen! du haͤltſt deine Hand uͤber un¬ ſre Anlage zur Quaal und legeſt das Erden-Herz, woruͤber dieſe Saiten aufgewunden ſind, ausein¬ ander, wenn ſie zu heftig beben! . . .
Der Kampf meiner Natur wurde endlich zu einem ohnmaͤchtigen Schlummer, aus dem ſo vie¬ le bloß erwachen, um unter der Erde zu ſterben. Darin trug man mich in die iſolierte Kirche! der Fuͤrſt und mein Spitz waren mit dabei; aber bloß der erſtere gieng wieder. Ich lag vielleicht die hal¬ be Nacht, bis das Leben durch mich zuckte. Mein erſter Gedanke riß der Seele immer auseinander. Von ungefaͤhr trat der Hund auf mein Geſicht: ploͤtzlich ſenkte ſich eine Beklemmung, wie wenn eine Rieſenhand meine Bruſt boͤge, tief auf mich herein und ein Sargdeckel ſchien mir wie ein auf¬ gehobnes Rad uͤber mir zu ſtehen . . . Schon die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0148"n="138"/>
haͤßliche Gedanken ruͤckten vor mir grinzend vor¬<lb/>
uͤber, die kein Geſunder kennt, keiner nachſchaft,<lb/>
keiner ertraͤgt, und die bloß liegende Krankenſee¬<lb/>
len anbellen. Waͤre kein Schoͤpfer: ſo muͤſt' ich<lb/>
vor den verborgnen Angſt-Saiten erzittern, die<lb/>
im Menſchen aufgezogen ſind und an denen ein<lb/>
feindſeliges Weſen reiſſen koͤnnte. Aber nein! du<lb/>
allguͤtiges Weſen! du haͤltſt deine Hand uͤber un¬<lb/>ſre Anlage zur Quaal und legeſt das Erden-Herz,<lb/>
woruͤber dieſe Saiten aufgewunden ſind, ausein¬<lb/>
ander, wenn ſie zu heftig beben! . . .</p><lb/><p>Der Kampf meiner Natur wurde endlich zu<lb/>
einem ohnmaͤchtigen Schlummer, aus dem ſo vie¬<lb/>
le bloß erwachen, um unter der Erde zu ſterben.<lb/>
Darin trug man mich in die iſolierte Kirche! der<lb/>
Fuͤrſt und mein Spitz waren mit dabei; aber bloß<lb/>
der erſtere gieng wieder. Ich lag vielleicht die hal¬<lb/>
be Nacht, bis das Leben durch mich zuckte. Mein<lb/>
erſter Gedanke riß <choice><sic>die</sic><corrtype="corrigenda">der</corr></choice> Seele immer auseinander.<lb/>
Von ungefaͤhr trat der Hund auf mein Geſicht:<lb/>
ploͤtzlich ſenkte ſich eine Beklemmung, wie wenn<lb/>
eine Rieſenhand meine Bruſt boͤge, tief auf mich<lb/>
herein und ein Sargdeckel ſchien mir wie ein auf¬<lb/>
gehobnes Rad uͤber mir zu ſtehen . . . Schon die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[138/0148]
haͤßliche Gedanken ruͤckten vor mir grinzend vor¬
uͤber, die kein Geſunder kennt, keiner nachſchaft,
keiner ertraͤgt, und die bloß liegende Krankenſee¬
len anbellen. Waͤre kein Schoͤpfer: ſo muͤſt' ich
vor den verborgnen Angſt-Saiten erzittern, die
im Menſchen aufgezogen ſind und an denen ein
feindſeliges Weſen reiſſen koͤnnte. Aber nein! du
allguͤtiges Weſen! du haͤltſt deine Hand uͤber un¬
ſre Anlage zur Quaal und legeſt das Erden-Herz,
woruͤber dieſe Saiten aufgewunden ſind, ausein¬
ander, wenn ſie zu heftig beben! . . .
Der Kampf meiner Natur wurde endlich zu
einem ohnmaͤchtigen Schlummer, aus dem ſo vie¬
le bloß erwachen, um unter der Erde zu ſterben.
Darin trug man mich in die iſolierte Kirche! der
Fuͤrſt und mein Spitz waren mit dabei; aber bloß
der erſtere gieng wieder. Ich lag vielleicht die hal¬
be Nacht, bis das Leben durch mich zuckte. Mein
erſter Gedanke riß der Seele immer auseinander.
Von ungefaͤhr trat der Hund auf mein Geſicht:
ploͤtzlich ſenkte ſich eine Beklemmung, wie wenn
eine Rieſenhand meine Bruſt boͤge, tief auf mich
herein und ein Sargdeckel ſchien mir wie ein auf¬
gehobnes Rad uͤber mir zu ſtehen . . . Schon die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 2. Berlin, 1793, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge02_1793/148>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.