Erde alle, ihr sättigt die Brust bloß mit Seufzern und das Auge mit Wasser und in das arme Herz, das sich vor euerem Himmel aufthut, giesset ihr eine Blutwelle mehr! Und doch lähmen uns diese Paar elenden Freuden, wie Giftblumen Kindern, die damit spielen, Arm' und Beine. Nur keine Musik, diese Spötterin unserer Wünsche, sollt' es geben: fliessen nicht auf ihren Ruf, alle Fi¬ bern meines Herzens auseinander und strecken sich als so viele saugende Polypenarme aus und zittern vor Sehnsucht und wollen umschlingen wen? was?... ein ungesehenes in andern Welten stehendes Etwas. Oft denk' ich, vielleicht ists gar Nichts, vielleicht gehts nach dem Tode wieder so und du wirst dich aus einem Himmel in den andern sehnen -- und dann zerdrücke ich unter diesem phantastischen Un¬ sinn die Klaviersaiten als wollt' ich aus ihnen eine Quelle auspressen, als wär' es nicht genug, daß der Druck dieses Sehnens die dünnen Saiten meines innern Tonsystems verstimmt und absprengt....
In Rom wohnte ein Maler, der Kirche von S. Adriano gegenüber, der unter dem Regen sich allemal unter die Dachrinnen stellte und sich toll lachte: der sagte oft zu mir: "keinen Hundstod
Erde alle, ihr ſaͤttigt die Bruſt bloß mit Seufzern und das Auge mit Waſſer und in das arme Herz, das ſich vor euerem Himmel aufthut, gieſſet ihr eine Blutwelle mehr! Und doch laͤhmen uns dieſe Paar elenden Freuden, wie Giftblumen Kindern, die damit ſpielen, Arm' und Beine. Nur keine Muſik, dieſe Spoͤtterin unſerer Wuͤnſche, ſollt' es geben: flieſſen nicht auf ihren Ruf, alle Fi¬ bern meines Herzens auseinander und ſtrecken ſich als ſo viele ſaugende Polypenarme aus und zittern vor Sehnſucht und wollen umſchlingen wen? was?... ein ungeſehenes in andern Welten ſtehendes Etwas. Oft denk’ ich, vielleicht iſts gar Nichts, vielleicht gehts nach dem Tode wieder ſo und du wirſt dich aus einem Himmel in den andern ſehnen — und dann zerdruͤcke ich unter dieſem phantaſtiſchen Un¬ ſinn die Klavierſaiten als wollt' ich aus ihnen eine Quelle auspreſſen, als waͤr' es nicht genug, daß der Druck dieſes Sehnens die duͤnnen Saiten meines innern Tonſyſtems verſtimmt und abſprengt....
In Rom wohnte ein Maler, der Kirche von S. Adriano gegenuͤber, der unter dem Regen ſich allemal unter die Dachrinnen ſtellte und ſich toll lachte: der ſagte oft zu mir: „keinen Hundstod
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Erde alle, ihr ſaͤttigt die Bruſt bloß mit Seufzern
und das Auge mit Waſſer und in das arme Herz,
das ſich vor euerem Himmel aufthut, gieſſet ihr
eine Blutwelle mehr! Und doch laͤhmen uns dieſe
Paar elenden Freuden, wie Giftblumen Kindern,
die damit ſpielen, Arm' und Beine. Nur keine
Muſik, dieſe Spoͤtterin unſerer Wuͤnſche, ſollt'
es geben: flieſſen nicht auf ihren Ruf, alle Fi¬
bern meines Herzens auseinander und ſtrecken ſich
als ſo viele ſaugende Polypenarme aus und zittern vor
Sehnſucht und wollen umſchlingen wen? was?...
ein ungeſehenes in andern Welten ſtehendes Etwas.
Oft denk’ ich, vielleicht iſts gar Nichts, vielleicht
gehts nach dem Tode wieder ſo und du wirſt dich
aus einem Himmel in den andern ſehnen — und
dann zerdruͤcke ich unter dieſem phantaſtiſchen Un¬
ſinn die Klavierſaiten als wollt' ich aus ihnen eine
Quelle auspreſſen, als waͤr' es nicht genug, daß
der Druck dieſes Sehnens die duͤnnen Saiten meines
innern Tonſyſtems verſtimmt und abſprengt....
In Rom wohnte ein Maler, der Kirche von
S. Adriano gegenuͤber, der unter dem Regen ſich
allemal unter die Dachrinnen ſtellte und ſich toll
lachte: der ſagte oft zu mir: „keinen Hundstod
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Jean Paul: Die unsichtbare Loge. Bd. 1. Berlin, 1793, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_loge01_1793/401>, abgerufen am 24.11.2024.
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