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Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809.

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Herzen, worin kein Himmel und kein Gott
und Gewißen mehr wohnte -- und da er
sah wieder eine Welt herunterfallen, und ihre
Klagstimmen vorüber weheten: "o! wie ver-
geblich, wie so nichtig ist der Jammer und der
Kampf und die Wahrheit und die Tugend
des Lebens gewesen; -- und da endlich sein
Vater mit der eisernen Kugel erschien, welche
die Leichen des Weltmeers, einsenkt, und da
er aus dem weißen Augenliede eine Blutzähre
drückte: so rief sein zu kaltem Grimm gerin-
nendes Herz: "Gestalt aus der Hölle, zertritt
mich nur bald; das Vernichten ist ewig, es
leben nur Sterbende und Du. -- Leb' ich noch,
Gestalt?"

Die Gestalt trieb ihn sanft, an den Rand
des immer weiter gefrierenden Eisfeldes. In
der Tiefe sah er den Schutt von Gehäusen
zerdrückter Thierseelen, und in den Höhen
hingen zahllos die Eisstrecken, mit den Ver-
nichteten aus höhern Welten, und die Leiber
der todten Engel waren oft aufrechte Sonnen-
strahlen, oft ein langer Ton, oder ein unbe-

Herzen, worin kein Himmel und kein Gott
und Gewißen mehr wohnte — und da er
ſah wieder eine Welt herunterfallen, und ihre
Klagſtimmen voruͤber weheten: „o! wie ver-
geblich, wie ſo nichtig iſt der Jammer und der
Kampf und die Wahrheit und die Tugend
des Lebens geweſen; — und da endlich ſein
Vater mit der eiſernen Kugel erſchien, welche
die Leichen des Weltmeers, einſenkt, und da
er aus dem weißen Augenliede eine Blutzaͤhre
druͤckte: ſo rief ſein zu kaltem Grimm gerin-
nendes Herz: „Geſtalt aus der Hoͤlle, zertritt
mich nur bald; das Vernichten iſt ewig, es
leben nur Sterbende und Du. — Leb’ ich noch,
Geſtalt?“

Die Geſtalt trieb ihn ſanft, an den Rand
des immer weiter gefrierenden Eisfeldes. In
der Tiefe ſah er den Schutt von Gehaͤuſen
zerdruͤckter Thierſeelen, und in den Hoͤhen
hingen zahllos die Eisſtrecken, mit den Ver-
nichteten aus höhern Welten, und die Leiber
der todten Engel waren oft aufrechte Sonnen-
ſtrahlen, oft ein langer Ton, oder ein unbe-

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[271/0277] Herzen, worin kein Himmel und kein Gott und Gewißen mehr wohnte — und da er ſah wieder eine Welt herunterfallen, und ihre Klagſtimmen voruͤber weheten: „o! wie ver- geblich, wie ſo nichtig iſt der Jammer und der Kampf und die Wahrheit und die Tugend des Lebens geweſen; — und da endlich ſein Vater mit der eiſernen Kugel erſchien, welche die Leichen des Weltmeers, einſenkt, und da er aus dem weißen Augenliede eine Blutzaͤhre druͤckte: ſo rief ſein zu kaltem Grimm gerin- nendes Herz: „Geſtalt aus der Hoͤlle, zertritt mich nur bald; das Vernichten iſt ewig, es leben nur Sterbende und Du. — Leb’ ich noch, Geſtalt?“ Die Geſtalt trieb ihn ſanft, an den Rand des immer weiter gefrierenden Eisfeldes. In der Tiefe ſah er den Schutt von Gehaͤuſen zerdruͤckter Thierſeelen, und in den Hoͤhen hingen zahllos die Eisſtrecken, mit den Ver- nichteten aus höhern Welten, und die Leiber der todten Engel waren oft aufrechte Sonnen- ſtrahlen, oft ein langer Ton, oder ein unbe-

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Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/277>, abgerufen am 04.05.2024.