Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809.

Bild:
<< vorherige Seite

"Wär' es denn Sünde, sagte der Graf,
wenn man nach gewißen Gedanken keine mehr
denken wollte? Wenn ich jetzt herzlich wünschte,
daß mir gegenüber dem Bilde dieser Uranide
der große schöne Donner das kahle Leben aus-
löschte? Wär' dieß Sünde? Ach warum muß
der arme Erdensohn meistens in Wintern aller
Art sterben, selten im Feuer und Frühling?"

Freundlich und ruhig bestieg Charlotte Cor-
day, fuhr ich fort, die Trauerbühne, wo sie
diesen Erdennamen ablegte, und grüßte die
wilden Thiere unter dem Gerüste so sanft,
daß sogar diese zahm sich niederlegten. Lasset
uns nicht lange auf dieser blutigen Stelle ver-
weilen, wo so viele Seufzer und Schmerzen
wohnen und nachtönen; und Du selber Char-
lotte hast hier die letzten über dieses Schlacht-
feld des würgenden Marats, über dieses
Erbbegräbniß freyer Herzen empfunden! --
Ein Würger nahm ihr die jugendlichen Locken,
enthüllte das jungfräuliche Herz, das noch ein-
mal in der blaßen Todesstunde das keusche

„Wär’ es denn Suͤnde, ſagte der Graf,
wenn man nach gewißen Gedanken keine mehr
denken wollte? Wenn ich jetzt herzlich wuͤnſchte,
daß mir gegenuͤber dem Bilde dieſer Uranide
der große ſchoͤne Donner das kahle Leben aus-
loͤſchte? Waͤr’ dieß Suͤnde? Ach warum muß
der arme Erdenſohn meiſtens in Wintern aller
Art ſterben, ſelten im Feuer und Fruͤhling?“

Freundlich und ruhig beſtieg Charlotte Cor-
day, fuhr ich fort, die Trauerbuͤhne, wo ſie
dieſen Erdennamen ablegte, und grüßte die
wilden Thiere unter dem Geruͤſte ſo ſanft,
daß ſogar dieſe zahm ſich niederlegten. Laſſet
uns nicht lange auf dieſer blutigen Stelle ver-
weilen, wo ſo viele Seufzer und Schmerzen
wohnen und nachtoͤnen; und Du ſelber Char-
lotte haſt hier die letzten uͤber dieſes Schlacht-
feld des wuͤrgenden Marats, uͤber dieſes
Erbbegraͤbniß freyer Herzen empfunden! —
Ein Wuͤrger nahm ihr die jugendlichen Locken,
enthuͤllte das jungfraͤuliche Herz, das noch ein-
mal in der blaßen Todesſtunde das keuſche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0265" n="259"/>
          <p>&#x201E;Wär&#x2019; es denn Su&#x0364;nde, &#x017F;agte der Graf,<lb/>
wenn man nach gewißen Gedanken keine mehr<lb/>
denken wollte? Wenn ich jetzt herzlich wu&#x0364;n&#x017F;chte,<lb/>
daß mir gegenu&#x0364;ber dem Bilde die&#x017F;er Uranide<lb/>
der große &#x017F;cho&#x0364;ne Donner das kahle Leben aus-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;chte? Wa&#x0364;r&#x2019; dieß Su&#x0364;nde? Ach warum muß<lb/>
der arme Erden&#x017F;ohn mei&#x017F;tens in Wintern aller<lb/>
Art &#x017F;terben, &#x017F;elten im Feuer und Fru&#x0364;hling?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Freundlich und ruhig be&#x017F;tieg Charlotte Cor-<lb/>
day, fuhr ich fort, die Trauerbu&#x0364;hne, wo &#x017F;ie<lb/>
die&#x017F;en Erdennamen ablegte, und grüßte die<lb/>
wilden Thiere unter dem Geru&#x0364;&#x017F;te &#x017F;o &#x017F;anft,<lb/>
daß &#x017F;ogar die&#x017F;e zahm &#x017F;ich niederlegten. La&#x017F;&#x017F;et<lb/>
uns nicht lange auf die&#x017F;er blutigen Stelle ver-<lb/>
weilen, wo &#x017F;o viele Seufzer und Schmerzen<lb/>
wohnen und nachto&#x0364;nen; und Du &#x017F;elber Char-<lb/>
lotte ha&#x017F;t hier die letzten u&#x0364;ber die&#x017F;es Schlacht-<lb/>
feld des wu&#x0364;rgenden <hi rendition="#g">Marats</hi>, u&#x0364;ber die&#x017F;es<lb/>
Erbbegra&#x0364;bniß freyer Herzen empfunden! &#x2014;<lb/>
Ein Wu&#x0364;rger nahm ihr die jugendlichen Locken,<lb/>
enthu&#x0364;llte das jungfra&#x0364;uliche Herz, das noch ein-<lb/>
mal in der blaßen Todes&#x017F;tunde das keu&#x017F;che<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0265] „Wär’ es denn Suͤnde, ſagte der Graf, wenn man nach gewißen Gedanken keine mehr denken wollte? Wenn ich jetzt herzlich wuͤnſchte, daß mir gegenuͤber dem Bilde dieſer Uranide der große ſchoͤne Donner das kahle Leben aus- loͤſchte? Waͤr’ dieß Suͤnde? Ach warum muß der arme Erdenſohn meiſtens in Wintern aller Art ſterben, ſelten im Feuer und Fruͤhling?“ Freundlich und ruhig beſtieg Charlotte Cor- day, fuhr ich fort, die Trauerbuͤhne, wo ſie dieſen Erdennamen ablegte, und grüßte die wilden Thiere unter dem Geruͤſte ſo ſanft, daß ſogar dieſe zahm ſich niederlegten. Laſſet uns nicht lange auf dieſer blutigen Stelle ver- weilen, wo ſo viele Seufzer und Schmerzen wohnen und nachtoͤnen; und Du ſelber Char- lotte haſt hier die letzten uͤber dieſes Schlacht- feld des wuͤrgenden Marats, uͤber dieſes Erbbegraͤbniß freyer Herzen empfunden! — Ein Wuͤrger nahm ihr die jugendlichen Locken, enthuͤllte das jungfraͤuliche Herz, das noch ein- mal in der blaßen Todesſtunde das keuſche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/265
Zitationshilfe: Jean Paul: D. Katzenbergers Badereise. Bd. 2. Heidelberg, 1809, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_katzenberger02_1809/265>, abgerufen am 04.05.2024.