Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

geschah: mach' ich -- so wunderbar es immer ist --
erst bekannt, wenn ich die Bemerkung ausgeschrieben
habe -- daß zwar die große Freude und der große
Schmerz die edlern Neigungen in uns beleben und
vergnügen, daß aber die Hoffnung, und noch
weit mehr die Angst den ganzen Wurmstock elender
Begierden, den Infusionslaich kleiner Gedanken an¬
brüten und auseinander ringeln und ins Nagen brin¬
gen -- so, daß also der Teufel und der Engel
in uns eine ärgere Parität ihrer zwei Religionen
als selber in Augsburg bei zwei andern ist, zu er¬
halten wissen und daß jede von den zwei Religions¬
partheien im Menschen eben so gut ihren eignen
Nachtwächter, Zensor, Wirth, Zeitungsschreiber
besoldet als wie gesagt in Augsburg. . . .

-- Ich hatte die Augen noch geschlossen,
als ein Lispeln, von tausend Gipfeln weiter gewir¬
belt, mich umschwamm, das getriebene Luftmeer zog
durch enge Aeolsharfen und schlug daran Wellen und
die Wellen überspühlten mich mit Melodien -- eine
hohe Bergluft, von einer vorüberschiessenden Wolke
herzuschlagend, fuhr wie ein Wasserstrahl kühl an
meine Brust -- ich öffnete die Augen und dachte,
ich träumte, weil ich ohne die eiserne Maske war
-- ich war an die fünfte Säule auf der obersten
Stufe eines griechischen Tempels gelehnt, dessen

geſchah: mach' ich — ſo wunderbar es immer iſt —
erſt bekannt, wenn ich die Bemerkung ausgeſchrieben
habe — daß zwar die große Freude und der große
Schmerz die edlern Neigungen in uns beleben und
vergnuͤgen, daß aber die Hoffnung, und noch
weit mehr die Angſt den ganzen Wurmſtock elender
Begierden, den Infuſionslaich kleiner Gedanken an¬
bruͤten und auseinander ringeln und ins Nagen brin¬
gen — ſo, daß alſo der Teufel und der Engel
in uns eine aͤrgere Paritaͤt ihrer zwei Religionen
als ſelber in Augsburg bei zwei andern iſt, zu er¬
halten wiſſen und daß jede von den zwei Religions¬
partheien im Menſchen eben ſo gut ihren eignen
Nachtwaͤchter, Zenſor, Wirth, Zeitungsſchreiber
beſoldet als wie geſagt in Augsburg. . . .

— Ich hatte die Augen noch geſchloſſen,
als ein Lispeln, von tauſend Gipfeln weiter gewir¬
belt, mich umſchwamm, das getriebene Luftmeer zog
durch enge Aeolsharfen und ſchlug daran Wellen und
die Wellen uͤberſpuͤhlten mich mit Melodien — eine
hohe Bergluft, von einer voruͤberſchieſſenden Wolke
herzuſchlagend, fuhr wie ein Waſſerſtrahl kuͤhl an
meine Bruſt — ich oͤffnete die Augen und dachte,
ich traͤumte, weil ich ohne die eiſerne Maske war
— ich war an die fuͤnfte Saͤule auf der oberſten
Stufe eines griechiſchen Tempels gelehnt, deſſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0434" n="424"/>
ge&#x017F;chah: mach' ich &#x2014; &#x017F;o wunderbar es immer i&#x017F;t &#x2014;<lb/>
er&#x017F;t bekannt, wenn ich die Bemerkung ausge&#x017F;chrieben<lb/>
habe &#x2014; daß zwar die große <hi rendition="#g">Freude</hi> und der große<lb/><hi rendition="#g">Schmerz</hi> die edlern Neigungen in uns beleben und<lb/>
vergnu&#x0364;gen, daß aber die <hi rendition="#g">Hoffnung</hi>, und noch<lb/>
weit mehr die <hi rendition="#g">Ang&#x017F;t</hi> den ganzen Wurm&#x017F;tock elender<lb/>
Begierden, den Infu&#x017F;ionslaich kleiner Gedanken an¬<lb/>
bru&#x0364;ten und auseinander ringeln und ins Nagen brin¬<lb/>
gen &#x2014; &#x017F;o, daß al&#x017F;o der <hi rendition="#g">Teufel</hi> und der <hi rendition="#g">Engel</hi><lb/>
in uns eine a&#x0364;rgere <hi rendition="#g">Parita&#x0364;t</hi> ihrer zwei Religionen<lb/>
als &#x017F;elber in Augsburg bei zwei andern i&#x017F;t, zu er¬<lb/>
halten wi&#x017F;&#x017F;en und daß jede von den zwei Religions¬<lb/>
partheien im Men&#x017F;chen eben &#x017F;o gut ihren eignen<lb/>
Nachtwa&#x0364;chter, Zen&#x017F;or, Wirth, Zeitungs&#x017F;chreiber<lb/>
be&#x017F;oldet als wie ge&#x017F;agt in Augsburg. . . .</p><lb/>
          <p>&#x2014; Ich hatte die Augen noch ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
als ein Lispeln, von tau&#x017F;end Gipfeln weiter gewir¬<lb/>
belt, mich um&#x017F;chwamm, das getriebene Luftmeer zog<lb/>
durch enge Aeolsharfen und &#x017F;chlug daran Wellen und<lb/>
die Wellen u&#x0364;ber&#x017F;pu&#x0364;hlten mich mit Melodien &#x2014; eine<lb/>
hohe Bergluft, von einer voru&#x0364;ber&#x017F;chie&#x017F;&#x017F;enden Wolke<lb/>
herzu&#x017F;chlagend, fuhr wie ein Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;trahl ku&#x0364;hl an<lb/>
meine Bru&#x017F;t &#x2014; ich o&#x0364;ffnete die Augen und dachte,<lb/>
ich tra&#x0364;umte, weil ich ohne die ei&#x017F;erne Maske war<lb/>
&#x2014; ich war an die fu&#x0364;nfte Sa&#x0364;ule auf der ober&#x017F;ten<lb/>
Stufe eines griechi&#x017F;chen Tempels gelehnt, de&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[424/0434] geſchah: mach' ich — ſo wunderbar es immer iſt — erſt bekannt, wenn ich die Bemerkung ausgeſchrieben habe — daß zwar die große Freude und der große Schmerz die edlern Neigungen in uns beleben und vergnuͤgen, daß aber die Hoffnung, und noch weit mehr die Angſt den ganzen Wurmſtock elender Begierden, den Infuſionslaich kleiner Gedanken an¬ bruͤten und auseinander ringeln und ins Nagen brin¬ gen — ſo, daß alſo der Teufel und der Engel in uns eine aͤrgere Paritaͤt ihrer zwei Religionen als ſelber in Augsburg bei zwei andern iſt, zu er¬ halten wiſſen und daß jede von den zwei Religions¬ partheien im Menſchen eben ſo gut ihren eignen Nachtwaͤchter, Zenſor, Wirth, Zeitungsſchreiber beſoldet als wie geſagt in Augsburg. . . . — Ich hatte die Augen noch geſchloſſen, als ein Lispeln, von tauſend Gipfeln weiter gewir¬ belt, mich umſchwamm, das getriebene Luftmeer zog durch enge Aeolsharfen und ſchlug daran Wellen und die Wellen uͤberſpuͤhlten mich mit Melodien — eine hohe Bergluft, von einer voruͤberſchieſſenden Wolke herzuſchlagend, fuhr wie ein Waſſerſtrahl kuͤhl an meine Bruſt — ich oͤffnete die Augen und dachte, ich traͤumte, weil ich ohne die eiſerne Maske war — ich war an die fuͤnfte Saͤule auf der oberſten Stufe eines griechiſchen Tempels gelehnt, deſſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/434
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/434>, abgerufen am 18.05.2024.