tiefsten Kindheit eingetaucht und wollte, vom heißen Blumendunste überflossen, darin auseinander tropfen. -- Jetzt kam die unbekannte Stimme näher und lispelte sanft: vergehet süßer am Duft.
Aber die Seelen taumelten nur und vergingen noch nicht.
Tief in der Ewigkeit aus der Mitternacht bog sich auf und nieder ein einziger Ton -- ein zweiter stand in Morgen auf -- ein dritter in Abend -- endlich tönte aus der Ferne der ganze Himmel und die Töne überströmten die Insel und ergriffen die erweichten Seelen. . . Als die Töne auf der In¬ sel waren, weinten alle Menschen vor Wonne und Sehnsucht . . . Dann liefen plötzlich die Sonnen noch schneller, dann stiegen die Töne noch höher, und verloren sich wirbelnd in eine schneidende, un¬ endliche Höhe -- ach dann gingen alle Wunden der Menschen wieder auf und wärmten sanft mit dem rinnenden Blute jede Brust, die in ihrer Wehmuth erstarb -- ach dann kam ja alles fliehend vor uns was wir hier geliebet haben, alles was wir hier verloren haben, jede theure Stunde, jedes beweinte Gefild', jeder geliebte Mensch, jede Thräne und je¬ der Wunsch -- -- Und als die höchsten Töne ver¬ stummten und wieder einschnitten und länger ver¬ stummten und tiefer einschnitten: so zitterten Har¬ monikaglocken unter den Menschen, die auf ihnen
tiefſten Kindheit eingetaucht und wollte, vom heißen Blumendunſte uͤberfloſſen, darin auseinander tropfen. — Jetzt kam die unbekannte Stimme naͤher und liſpelte ſanft: vergehet ſuͤßer am Duft.
Aber die Seelen taumelten nur und vergingen noch nicht.
Tief in der Ewigkeit aus der Mitternacht bog ſich auf und nieder ein einziger Ton — ein zweiter ſtand in Morgen auf — ein dritter in Abend — endlich toͤnte aus der Ferne der ganze Himmel und die Toͤne uͤberſtroͤmten die Inſel und ergriffen die erweichten Seelen. . . Als die Toͤne auf der In¬ ſel waren, weinten alle Menſchen vor Wonne und Sehnſucht . . . Dann liefen ploͤtzlich die Sonnen noch ſchneller, dann ſtiegen die Toͤne noch hoͤher, und verloren ſich wirbelnd in eine ſchneidende, un¬ endliche Hoͤhe — ach dann gingen alle Wunden der Menſchen wieder auf und waͤrmten ſanft mit dem rinnenden Blute jede Bruſt, die in ihrer Wehmuth erſtarb — ach dann kam ja alles fliehend vor uns was wir hier geliebet haben, alles was wir hier verloren haben, jede theure Stunde, jedes beweinte Gefild', jeder geliebte Menſch, jede Thraͤne und je¬ der Wunſch — — Und als die hoͤchſten Toͤne ver¬ ſtummten und wieder einſchnitten und laͤnger ver¬ ſtummten und tiefer einſchnitten: ſo zitterten Har¬ monikaglocken unter den Menſchen, die auf ihnen
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tiefſten Kindheit eingetaucht und wollte, vom heißen
Blumendunſte uͤberfloſſen, darin auseinander tropfen.
— Jetzt kam die unbekannte Stimme naͤher und
liſpelte ſanft: vergehet ſuͤßer am Duft.
Aber die Seelen taumelten nur und vergingen
noch nicht.
Tief in der Ewigkeit aus der Mitternacht bog
ſich auf und nieder ein einziger Ton — ein zweiter
ſtand in Morgen auf — ein dritter in Abend —
endlich toͤnte aus der Ferne der ganze Himmel und
die Toͤne uͤberſtroͤmten die Inſel und ergriffen die
erweichten Seelen. . . Als die Toͤne auf der In¬
ſel waren, weinten alle Menſchen vor Wonne und
Sehnſucht . . . Dann liefen ploͤtzlich die Sonnen
noch ſchneller, dann ſtiegen die Toͤne noch hoͤher,
und verloren ſich wirbelnd in eine ſchneidende, un¬
endliche Hoͤhe — ach dann gingen alle Wunden der
Menſchen wieder auf und waͤrmten ſanft mit dem
rinnenden Blute jede Bruſt, die in ihrer Wehmuth
erſtarb — ach dann kam ja alles fliehend vor uns
was wir hier geliebet haben, alles was wir hier
verloren haben, jede theure Stunde, jedes beweinte
Gefild', jeder geliebte Menſch, jede Thraͤne und je¬
der Wunſch — — Und als die hoͤchſten Toͤne ver¬
ſtummten und wieder einſchnitten und laͤnger ver¬
ſtummten und tiefer einſchnitten: ſo zitterten Har¬
monikaglocken unter den Menſchen, die auf ihnen
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/303>, abgerufen am 23.11.2024.
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