ten fallen, weil er nichts mehr fürchtet im schauerlich-erhabnen Universum. -- Der Anblick ist groß, wenn der Engel im Menschen gebohren wird, wenn alsdann am Horizont der Erde die zweite Welt aufsteigt, und wenn die ganze Sonnenwärme der Tugend durch keine Wolken mehr auf das Herz fällt. --
Aber der arme Mensch, der gebundne in Blut versunkne, von Fleisch umfaßte Mensch empfindet bald den Unterschied zwischen seinen Entzückungen und seinen Kräften; er, der das gelobte Land er¬ kämpfen wollte, da ihm die Trauben desselben ent¬ gegen kamen, stockt, da er gegen dessen Riesen zie¬ hen soll (gegen die Leidenschaften.) Gleichwol ver¬ werf' ich nicht einmal die Uebertreibung jenes En¬ thusiasmus: der Mensch muß wie Gebäude in die Höhe geschraubt werden um reparirt zu wer¬ den; ein Syllogismus gräbt die Blutströme unserer Begierden nicht ab. Es ist sonderbar, daß der Teufel in uns allein das Recht haben soll, das Blut, die Nerven, die Getränke, die Leidenschaften zu seinen Kriegsoperazionen und für seine Reichs¬ kasse zu verwenden, der Engel aber soll's nicht. ..
Indessen ist's so: die Menschen sind lasterhaft, weil sie die Tugend für zu schwer ansehen, und sie werden's wieder, weil sie sie für zu leicht hielten. Nicht die Vernunft (d. h. das Gewissen) macht uns
Hesperus. III. Th. B
ten fallen, weil er nichts mehr fuͤrchtet im ſchauerlich-erhabnen Univerſum. — Der Anblick iſt groß, wenn der Engel im Menſchen gebohren wird, wenn alsdann am Horizont der Erde die zweite Welt aufſteigt, und wenn die ganze Sonnenwaͤrme der Tugend durch keine Wolken mehr auf das Herz faͤllt. —
Aber der arme Menſch, der gebundne in Blut verſunkne, von Fleiſch umfaßte Menſch empfindet bald den Unterſchied zwiſchen ſeinen Entzuͤckungen und ſeinen Kraͤften; er, der das gelobte Land er¬ kaͤmpfen wollte, da ihm die Trauben deſſelben ent¬ gegen kamen, ſtockt, da er gegen deſſen Rieſen zie¬ hen ſoll (gegen die Leidenſchaften.) Gleichwol ver¬ werf' ich nicht einmal die Uebertreibung jenes En¬ thuſiasmus: der Menſch muß wie Gebaͤude in die Hoͤhe geſchraubt werden um reparirt zu wer¬ den; ein Syllogismus graͤbt die Blutſtroͤme unſerer Begierden nicht ab. Es iſt ſonderbar, daß der Teufel in uns allein das Recht haben ſoll, das Blut, die Nerven, die Getraͤnke, die Leidenſchaften zu ſeinen Kriegsoperazionen und fuͤr ſeine Reichs¬ kaſſe zu verwenden, der Engel aber ſoll's nicht. ..
Indeſſen iſt's ſo: die Menſchen ſind laſterhaft, weil ſie die Tugend fuͤr zu ſchwer anſehen, und ſie werden's wieder, weil ſie ſie fuͤr zu leicht hielten. Nicht die Vernunft (d. h. das Gewiſſen) macht uns
Heſperus. III. Th. B
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ten fallen, weil er nichts mehr fuͤrchtet im
ſchauerlich-erhabnen Univerſum. — Der Anblick iſt
groß, wenn der Engel im Menſchen gebohren wird,
wenn alsdann am Horizont der Erde die zweite Welt
aufſteigt, und wenn die ganze Sonnenwaͤrme der
Tugend durch keine Wolken mehr auf das Herz
faͤllt. —
Aber der arme Menſch, der gebundne in Blut
verſunkne, von Fleiſch umfaßte Menſch empfindet
bald den Unterſchied zwiſchen ſeinen Entzuͤckungen
und ſeinen Kraͤften; er, der das gelobte Land er¬
kaͤmpfen wollte, da ihm die Trauben deſſelben ent¬
gegen kamen, ſtockt, da er gegen deſſen Rieſen zie¬
hen ſoll (gegen die Leidenſchaften.) Gleichwol ver¬
werf' ich nicht einmal die Uebertreibung jenes En¬
thuſiasmus: der Menſch muß wie Gebaͤude in die
Hoͤhe geſchraubt werden um reparirt zu wer¬
den; ein Syllogismus graͤbt die Blutſtroͤme unſerer
Begierden nicht ab. Es iſt ſonderbar, daß der
Teufel in uns allein das Recht haben ſoll, das
Blut, die Nerven, die Getraͤnke, die Leidenſchaften
zu ſeinen Kriegsoperazionen und fuͤr ſeine Reichs¬
kaſſe zu verwenden, der Engel aber ſoll's nicht. ..
Indeſſen iſt's ſo: die Menſchen ſind laſterhaft,
weil ſie die Tugend fuͤr zu ſchwer anſehen, und ſie
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Nicht die Vernunft (d. h. das Gewiſſen) macht uns
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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