Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Endlich war die Insel der Seeligen, die schon
durch den Nebel seiner Kinderträume weit, weit vor¬
geschimmert hatte, jetzt der Boden unter seinen
Füßen und er machte jetzt die Entdeckungsreisen durch
seinen Himmel -- er und Klotilde schwiegen einige
Minuten, weil ihre Herzen sanft vor Freude zu
wallen anfingen, daß sie endlich allein nebeneinander
und vor der großen Esplanade des Frühlings stan¬
den. Unter dem seeligen Lächeln, dem stummen
Buchstaben der Wonne und unter zitternden Athem¬
zügen, dieser h. Sankritsprache der Liebe, waren
sie schon am ersten Teiche, über dessen Krystallspie¬
gel sich eine Brücke wie vergoldetes Laubwerk schlän¬
gelt. -- Sie stockten in der Mitte dieser glatten
Mond- und Spiegelscheibe geblendet, weil der Son¬
nenschirm nicht gegen zwei Sonnen auf einmal, die
im Wasser dazu gerechnet, decken konnte: sie kehrten
sich halb um und suchten mit den Blicken im malen¬
den Wasser das tiefere Himmelsblau und zwei stille
beglückte Gestalten auf, die einander mit ihren feuch¬
ten Augen anblickten. O sein Auge ruhte warm
in ihren wiedergestralten wie die Sonne in der unter¬
irdischen Sonne und sein zitternder Blick wurde das
lange Beben und Aushalten eines einzigen Tones:
denn die im Wasser wohnende Göttin sank mit ihren
Augen seiner Seele entgegen, weil sie die verdoppelte
Entfernung seiner Gestalt benutzen wollte, die sich

— Endlich war die Inſel der Seeligen, die ſchon
durch den Nebel ſeiner Kindertraͤume weit, weit vor¬
geſchimmert hatte, jetzt der Boden unter ſeinen
Fuͤßen und er machte jetzt die Entdeckungsreiſen durch
ſeinen Himmel — er und Klotilde ſchwiegen einige
Minuten, weil ihre Herzen ſanft vor Freude zu
wallen anfingen, daß ſie endlich allein nebeneinander
und vor der großen Eſplanade des Fruͤhlings ſtan¬
den. Unter dem ſeeligen Laͤcheln, dem ſtummen
Buchſtaben der Wonne und unter zitternden Athem¬
zuͤgen, dieſer h. Sankritſprache der Liebe, waren
ſie ſchon am erſten Teiche, uͤber deſſen Kryſtallſpie¬
gel ſich eine Bruͤcke wie vergoldetes Laubwerk ſchlaͤn¬
gelt. — Sie ſtockten in der Mitte dieſer glatten
Mond- und Spiegelſcheibe geblendet, weil der Son¬
nenſchirm nicht gegen zwei Sonnen auf einmal, die
im Waſſer dazu gerechnet, decken konnte: ſie kehrten
ſich halb um und ſuchten mit den Blicken im malen¬
den Waſſer das tiefere Himmelsblau und zwei ſtille
begluͤckte Geſtalten auf, die einander mit ihren feuch¬
ten Augen anblickten. O ſein Auge ruhte warm
in ihren wiedergeſtralten wie die Sonne in der unter¬
irdiſchen Sonne und ſein zitternder Blick wurde das
lange Beben und Aushalten eines einzigen Tones:
denn die im Waſſer wohnende Goͤttin ſank mit ihren
Augen ſeiner Seele entgegen, weil ſie die verdoppelte
Entfernung ſeiner Geſtalt benutzen wollte, die ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0167" n="157"/>
          <p>&#x2014; Endlich war die In&#x017F;el der Seeligen, die &#x017F;chon<lb/>
durch den Nebel &#x017F;einer Kindertra&#x0364;ume weit, weit vor¬<lb/>
ge&#x017F;chimmert hatte, jetzt der Boden unter &#x017F;einen<lb/>
Fu&#x0364;ßen und er machte jetzt die Entdeckungsrei&#x017F;en durch<lb/>
&#x017F;einen Himmel &#x2014; er und Klotilde &#x017F;chwiegen einige<lb/>
Minuten, weil ihre Herzen &#x017F;anft vor Freude zu<lb/>
wallen anfingen, daß &#x017F;ie endlich allein nebeneinander<lb/>
und vor der großen E&#x017F;planade des Fru&#x0364;hlings &#x017F;tan¬<lb/>
den. Unter dem &#x017F;eeligen La&#x0364;cheln, dem &#x017F;tummen<lb/>
Buch&#x017F;taben der Wonne und unter zitternden Athem¬<lb/>
zu&#x0364;gen, die&#x017F;er h. Sankrit&#x017F;prache der Liebe, waren<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chon am er&#x017F;ten Teiche, u&#x0364;ber de&#x017F;&#x017F;en Kry&#x017F;tall&#x017F;pie¬<lb/>
gel &#x017F;ich eine Bru&#x0364;cke wie vergoldetes Laubwerk &#x017F;chla&#x0364;<lb/>
gelt. &#x2014; Sie &#x017F;tockten in der Mitte die&#x017F;er glatten<lb/>
Mond- und Spiegel&#x017F;cheibe geblendet, weil der Son¬<lb/>
nen&#x017F;chirm nicht gegen zwei Sonnen auf einmal, die<lb/>
im Wa&#x017F;&#x017F;er dazu gerechnet, decken konnte: &#x017F;ie kehrten<lb/>
&#x017F;ich halb um und &#x017F;uchten mit den Blicken im malen¬<lb/>
den Wa&#x017F;&#x017F;er das tiefere Himmelsblau und zwei &#x017F;tille<lb/>
beglu&#x0364;ckte Ge&#x017F;talten auf, die einander mit ihren feuch¬<lb/>
ten Augen anblickten. O &#x017F;ein Auge ruhte warm<lb/>
in ihren wiederge&#x017F;tralten wie die Sonne in der unter¬<lb/>
irdi&#x017F;chen Sonne und &#x017F;ein zitternder Blick wurde das<lb/>
lange Beben und Aushalten eines einzigen Tones:<lb/>
denn die im Wa&#x017F;&#x017F;er wohnende Go&#x0364;ttin &#x017F;ank mit ihren<lb/>
Augen &#x017F;einer Seele entgegen, weil &#x017F;ie die verdoppelte<lb/>
Entfernung &#x017F;einer Ge&#x017F;talt benutzen wollte, die &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0167] — Endlich war die Inſel der Seeligen, die ſchon durch den Nebel ſeiner Kindertraͤume weit, weit vor¬ geſchimmert hatte, jetzt der Boden unter ſeinen Fuͤßen und er machte jetzt die Entdeckungsreiſen durch ſeinen Himmel — er und Klotilde ſchwiegen einige Minuten, weil ihre Herzen ſanft vor Freude zu wallen anfingen, daß ſie endlich allein nebeneinander und vor der großen Eſplanade des Fruͤhlings ſtan¬ den. Unter dem ſeeligen Laͤcheln, dem ſtummen Buchſtaben der Wonne und unter zitternden Athem¬ zuͤgen, dieſer h. Sankritſprache der Liebe, waren ſie ſchon am erſten Teiche, uͤber deſſen Kryſtallſpie¬ gel ſich eine Bruͤcke wie vergoldetes Laubwerk ſchlaͤn¬ gelt. — Sie ſtockten in der Mitte dieſer glatten Mond- und Spiegelſcheibe geblendet, weil der Son¬ nenſchirm nicht gegen zwei Sonnen auf einmal, die im Waſſer dazu gerechnet, decken konnte: ſie kehrten ſich halb um und ſuchten mit den Blicken im malen¬ den Waſſer das tiefere Himmelsblau und zwei ſtille begluͤckte Geſtalten auf, die einander mit ihren feuch¬ ten Augen anblickten. O ſein Auge ruhte warm in ihren wiedergeſtralten wie die Sonne in der unter¬ irdiſchen Sonne und ſein zitternder Blick wurde das lange Beben und Aushalten eines einzigen Tones: denn die im Waſſer wohnende Goͤttin ſank mit ihren Augen ſeiner Seele entgegen, weil ſie die verdoppelte Entfernung ſeiner Geſtalt benutzen wollte, die ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/167
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/167>, abgerufen am 02.05.2024.