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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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Nutzen ist? -- Es ist allen Empfindungen eigen
(aber nicht den Einsichten) daß man sie nur allein
zu haben glaubt. So hält jeder Jüngling seine Lie¬
be für ein ausserordentliches Meteor, daß nur ein¬
mal in der Welt sey, wie der Stern der Liebe, der
Abendstern oft mit einem Kometen gleichsieht. Aber
es wird nicht lauter Flachsenfinger und Holländer
geben, die auf die Alpen gehen, weniger um große
Gedanken und Erhebungen als um Stühle *)
zu haben, oder zu Schiffe gehen, nicht um auf das
erhabne Meer den Blick des Artisten zu werfen, son¬
dern um die Hektik zu verfahren. ... Sondern
es wird überall in jedem Marktfleck, auf jeder In¬
sel schöne Seelen geben, die der Natur am Busen
ruhen -- die die Träume der Liebe achten, wenn
auch sie selber aus ihren eignen wach geworden --
die mit rauhen Menschen umpanzert sind, vor denen
sie ihre Idyllenphantasien über das zweite Leben
und ihre Thränen über das erste verhüllen müssen
-- die schönere Tage geben als sie empfangen --
diesem ganzen schönen Bunde mach' ich das ver¬
schenkte Feudum von Maienthal, wovon schon soviel
Redens war, endlich auf und gehe als investirender
Lehnhof mit einigen Freunden und Freundinnen und
meiner Schwester vorn an der Spitze voran hinein.

*) Nach Scheuchzer sind Alpen die beste Arznei gegen Ver¬
stopfung.

Nutzen iſt? — Es iſt allen Empfindungen eigen
(aber nicht den Einſichten) daß man ſie nur allein
zu haben glaubt. So haͤlt jeder Juͤngling ſeine Lie¬
be fuͤr ein auſſerordentliches Meteor, daß nur ein¬
mal in der Welt ſey, wie der Stern der Liebe, der
Abendſtern oft mit einem Kometen gleichſieht. Aber
es wird nicht lauter Flachſenfinger und Hollaͤnder
geben, die auf die Alpen gehen, weniger um große
Gedanken und Erhebungen als um Stuͤhle *)
zu haben, oder zu Schiffe gehen, nicht um auf das
erhabne Meer den Blick des Artiſten zu werfen, ſon¬
dern um die Hektik zu verfahren. ... Sondern
es wird uͤberall in jedem Marktfleck, auf jeder In¬
ſel ſchoͤne Seelen geben, die der Natur am Buſen
ruhen — die die Traͤume der Liebe achten, wenn
auch ſie ſelber aus ihren eignen wach geworden —
die mit rauhen Menſchen umpanzert ſind, vor denen
ſie ihre Idyllenphantaſien uͤber das zweite Leben
und ihre Thraͤnen uͤber das erſte verhuͤllen muͤſſen
— die ſchoͤnere Tage geben als ſie empfangen —
dieſem ganzen ſchoͤnen Bunde mach' ich das ver¬
ſchenkte Feudum von Maienthal, wovon ſchon ſoviel
Redens war, endlich auf und gehe als inveſtirender
Lehnhof mit einigen Freunden und Freundinnen und
meiner Schweſter vorn an der Spitze voran hinein.

*) Nach Scheuchzer ſind Alpen die beſte Arznei gegen Ver¬
ſtopfung.
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[116/0126] Nutzen iſt? — Es iſt allen Empfindungen eigen (aber nicht den Einſichten) daß man ſie nur allein zu haben glaubt. So haͤlt jeder Juͤngling ſeine Lie¬ be fuͤr ein auſſerordentliches Meteor, daß nur ein¬ mal in der Welt ſey, wie der Stern der Liebe, der Abendſtern oft mit einem Kometen gleichſieht. Aber es wird nicht lauter Flachſenfinger und Hollaͤnder geben, die auf die Alpen gehen, weniger um große Gedanken und Erhebungen als um Stuͤhle *) zu haben, oder zu Schiffe gehen, nicht um auf das erhabne Meer den Blick des Artiſten zu werfen, ſon¬ dern um die Hektik zu verfahren. ... Sondern es wird uͤberall in jedem Marktfleck, auf jeder In¬ ſel ſchoͤne Seelen geben, die der Natur am Buſen ruhen — die die Traͤume der Liebe achten, wenn auch ſie ſelber aus ihren eignen wach geworden — die mit rauhen Menſchen umpanzert ſind, vor denen ſie ihre Idyllenphantaſien uͤber das zweite Leben und ihre Thraͤnen uͤber das erſte verhuͤllen muͤſſen — die ſchoͤnere Tage geben als ſie empfangen — dieſem ganzen ſchoͤnen Bunde mach' ich das ver¬ ſchenkte Feudum von Maienthal, wovon ſchon ſoviel Redens war, endlich auf und gehe als inveſtirender Lehnhof mit einigen Freunden und Freundinnen und meiner Schweſter vorn an der Spitze voran hinein. *) Nach Scheuchzer ſind Alpen die beſte Arznei gegen Ver¬ ſtopfung.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/126>, abgerufen am 03.05.2024.