der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmü¬ thig angelächelt, fühlte, daß er bisher zu lustig ge¬ wesen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit liebenden schimmernden Augen anblicken, diese noch schimmernder wegwenden und nichts sagen und hin¬ ausgehen. Ueber seinem Herzen und über allen sei¬ nen Noten stand tremolando. Niemand wird tiefer traurig als wer immer lächelt: denn hört einmal die¬ ses Lächeln auf, so hat alles über die zergangne Seele Gewalt und ein sinnloser Wiegengesang, ein Flötenkonzert -- dessen Diß- und Fißklappen und Ansätze bloß zwei Lippen sind. -- Reisset die alten Thränen loß wie ein geringer Laut die wankende La¬ vine. Es war ihm als wenn ihm der heutige Traum gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden: sie schien ihm zu heilig und noch immer von geflügelten Kin¬ dern geführt und auf Eisthronen gestellt. Da er überhaupt für Le Bauts Gespräche im Reiche der Moralisch-Todten heute keine Zunge und Ohren hatte: so wollt' er im großen laubenvollen Garten dem Stamizischen Konzert inkognito zuhören und sich höchstens vom Zufall präsentiren lassen. Sein zweiter Grund war sein zum Resonanzboden der Mu¬ sik geschaffnes Herz, das gern die eilenden Töne ohne Stöhrung aufsog und das die Wirkungen derselben gern den gewöhnlichen Weltmenschen verbarg, die Göthe's, Raphaels und Sachini's Sachen wahrhaftig
der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmuͤ¬ thig angelaͤchelt, fuͤhlte, daß er bisher zu luſtig ge¬ weſen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit liebenden ſchimmernden Augen anblicken, dieſe noch ſchimmernder wegwenden und nichts ſagen und hin¬ ausgehen. Ueber ſeinem Herzen und uͤber allen ſei¬ nen Noten ſtand tremolando. Niemand wird tiefer traurig als wer immer laͤchelt: denn hoͤrt einmal die¬ ſes Laͤcheln auf, ſo hat alles uͤber die zergangne Seele Gewalt und ein ſinnloſer Wiegengeſang, ein Floͤtenkonzert — deſſen Diß- und Fißklappen und Anſaͤtze bloß zwei Lippen ſind. — Reiſſet die alten Thraͤnen loß wie ein geringer Laut die wankende La¬ vine. Es war ihm als wenn ihm der heutige Traum gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden: ſie ſchien ihm zu heilig und noch immer von gefluͤgelten Kin¬ dern gefuͤhrt und auf Eisthronen geſtellt. Da er uͤberhaupt fuͤr Le Bauts Geſpraͤche im Reiche der Moraliſch-Todten heute keine Zunge und Ohren hatte: ſo wollt' er im großen laubenvollen Garten dem Stamiziſchen Konzert inkognito zuhoͤren und ſich hoͤchſtens vom Zufall praͤſentiren laſſen. Sein zweiter Grund war ſein zum Reſonanzboden der Mu¬ ſik geſchaffnes Herz, das gern die eilenden Toͤne ohne Stoͤhrung aufſog und das die Wirkungen derſelben gern den gewoͤhnlichen Weltmenſchen verbarg, die Goͤthe's, Raphaels und Sachini's Sachen wahrhaftig
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der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmuͤ¬
thig angelaͤchelt, fuͤhlte, daß er bisher zu luſtig ge¬
weſen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit
liebenden ſchimmernden Augen anblicken, dieſe noch
ſchimmernder wegwenden und nichts ſagen und hin¬
ausgehen. Ueber ſeinem Herzen und uͤber allen ſei¬
nen Noten ſtand tremolando. Niemand wird tiefer
traurig als wer immer laͤchelt: denn hoͤrt einmal die¬
ſes Laͤcheln auf, ſo hat alles uͤber die zergangne
Seele Gewalt und ein ſinnloſer Wiegengeſang, ein
Floͤtenkonzert — deſſen Diß- und Fißklappen und
Anſaͤtze bloß zwei Lippen ſind. — Reiſſet die alten
Thraͤnen loß wie ein geringer Laut die wankende La¬
vine. Es war ihm als wenn ihm der heutige Traum
gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden: ſie ſchien
ihm zu heilig und noch immer von gefluͤgelten Kin¬
dern gefuͤhrt und auf Eisthronen geſtellt. Da er
uͤberhaupt fuͤr Le Bauts Geſpraͤche im Reiche der
Moraliſch-Todten heute keine Zunge und Ohren
hatte: ſo wollt' er im großen laubenvollen Garten
dem Stamiziſchen Konzert inkognito zuhoͤren und
ſich hoͤchſtens vom Zufall praͤſentiren laſſen. Sein
zweiter Grund war ſein zum Reſonanzboden der Mu¬
ſik geſchaffnes Herz, das gern die eilenden Toͤne ohne
Stoͤhrung aufſog und das die Wirkungen derſelben
gern den gewoͤhnlichen Weltmenſchen verbarg, die
Goͤthe's, Raphaels und Sachini's Sachen wahrhaftig
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/92>, abgerufen am 02.05.2024.
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