Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

"länger, das Fleisch brät sonst nicht aus." -- Die
häuslichen Kleinigkeiten ergötzten meinen Helden eben
so sehr als ihn die höfischen erzürnten.

Er ging mit dem Pfarrer. Seine Toleranz ge¬
gen die Fehler des geistlichen Standes hatte mit je¬
ner vornehmen stifts- und tadelfähigen nichts ge¬
mein, die aus höchster Verachtung entsteht und die
einen christlichen Priester so leicht wie einen ägypti¬
schen erträgt: sondern sie kam aus seiner Meinung,
daß die Kirchen noch die einzigen Sonntagsschulen
und spartischen Schulpforten und Seminarien des
armen Volkes sind, das seinen cours de morale
nicht beim Staate hören kann. Auch liebte er
als Jüngling die Lieblinge seiner Kindheit.

Viele Prediger suchen den Quintilian, der
schlechte Gründe in Reden voran gestellet haben
will, und den Cicero, der sie hintennach will, zu
vereinigen und postiren sie an beiden Orten; aber
Eymann hielt gute Empfindungen für besser als
schlechte Gründe und wand um den Bauern nicht
Schluß- sondern Blumenketten.

Der Friseur ging anfangs nicht in die Kirche,
weils unter seinen Stand war, aber nachher konnt'
er nicht anders: denn wegen des fremden Hofherrns
darin wurde Kirchenmusik gemacht.

Es ist der einzige Fehler des Perückenmacher
Meuseler, daß er zu gern singt und seine Kehle in

»laͤnger, das Fleiſch braͤt ſonſt nicht aus.« — Die
haͤuslichen Kleinigkeiten ergoͤtzten meinen Helden eben
ſo ſehr als ihn die hoͤfiſchen erzuͤrnten.

Er ging mit dem Pfarrer. Seine Toleranz ge¬
gen die Fehler des geiſtlichen Standes hatte mit je¬
ner vornehmen ſtifts- und tadelfaͤhigen nichts ge¬
mein, die aus hoͤchſter Verachtung entſteht und die
einen chriſtlichen Prieſter ſo leicht wie einen aͤgypti¬
ſchen ertraͤgt: ſondern ſie kam aus ſeiner Meinung,
daß die Kirchen noch die einzigen Sonntagsſchulen
und ſpartiſchen Schulpforten und Seminarien des
armen Volkes ſind, das ſeinen cours de morale
nicht beim Staate hoͤren kann. Auch liebte er
als Juͤngling die Lieblinge ſeiner Kindheit.

Viele Prediger ſuchen den Quintilian, der
ſchlechte Gruͤnde in Reden voran geſtellet haben
will, und den Cicero, der ſie hintennach will, zu
vereinigen und poſtiren ſie an beiden Orten; aber
Eymann hielt gute Empfindungen fuͤr beſſer als
ſchlechte Gruͤnde und wand um den Bauern nicht
Schluß- ſondern Blumenketten.

Der Friſeur ging anfangs nicht in die Kirche,
weils unter ſeinen Stand war, aber nachher konnt'
er nicht anders: denn wegen des fremden Hofherrns
darin wurde Kirchenmuſik gemacht.

Es iſt der einzige Fehler des Peruͤckenmacher
Meuſeler, daß er zu gern ſingt und ſeine Kehle in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0085" n="75"/>
»la&#x0364;nger, das Flei&#x017F;ch bra&#x0364;t &#x017F;on&#x017F;t nicht aus.« &#x2014; Die<lb/>
ha&#x0364;uslichen Kleinigkeiten ergo&#x0364;tzten meinen Helden eben<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ehr als ihn die ho&#x0364;fi&#x017F;chen erzu&#x0364;rnten.</p><lb/>
          <p>Er ging mit dem Pfarrer. Seine Toleranz ge¬<lb/>
gen die Fehler des gei&#x017F;tlichen Standes hatte mit je¬<lb/>
ner vornehmen &#x017F;tifts- und tadelfa&#x0364;higen nichts ge¬<lb/>
mein, die aus ho&#x0364;ch&#x017F;ter Verachtung ent&#x017F;teht und die<lb/>
einen chri&#x017F;tlichen Prie&#x017F;ter &#x017F;o leicht wie einen a&#x0364;gypti¬<lb/>
&#x017F;chen ertra&#x0364;gt: &#x017F;ondern &#x017F;ie kam aus &#x017F;einer Meinung,<lb/>
daß die Kirchen noch die einzigen Sonntags&#x017F;chulen<lb/>
und &#x017F;parti&#x017F;chen Schulpforten und Seminarien des<lb/>
armen Volkes &#x017F;ind, das &#x017F;einen <hi rendition="#aq">cours de morale</hi><lb/>
nicht beim <hi rendition="#g">Staate</hi> ho&#x0364;ren kann. Auch liebte er<lb/>
als Ju&#x0364;ngling die Lieblinge &#x017F;einer Kindheit.</p><lb/>
          <p>Viele Prediger &#x017F;uchen den Quintilian, der<lb/>
&#x017F;chlechte Gru&#x0364;nde in Reden <hi rendition="#g">voran</hi> ge&#x017F;tellet haben<lb/>
will, und den Cicero, der &#x017F;ie <hi rendition="#g">hintennach</hi> will, zu<lb/>
vereinigen und po&#x017F;tiren &#x017F;ie an beiden Orten; aber<lb/>
Eymann hielt gute Empfindungen fu&#x0364;r be&#x017F;&#x017F;er als<lb/>
&#x017F;chlechte Gru&#x0364;nde und wand um den Bauern nicht<lb/>
Schluß- &#x017F;ondern Blumenketten.</p><lb/>
          <p>Der Fri&#x017F;eur ging anfangs nicht in die Kirche,<lb/>
weils unter &#x017F;einen Stand war, aber nachher konnt'<lb/>
er nicht anders: denn wegen des fremden Hofherrns<lb/>
darin wurde Kirchenmu&#x017F;ik gemacht.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t der einzige Fehler des Peru&#x0364;ckenmacher<lb/>
Meu&#x017F;eler, daß er zu gern &#x017F;ingt und &#x017F;eine Kehle in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0085] »laͤnger, das Fleiſch braͤt ſonſt nicht aus.« — Die haͤuslichen Kleinigkeiten ergoͤtzten meinen Helden eben ſo ſehr als ihn die hoͤfiſchen erzuͤrnten. Er ging mit dem Pfarrer. Seine Toleranz ge¬ gen die Fehler des geiſtlichen Standes hatte mit je¬ ner vornehmen ſtifts- und tadelfaͤhigen nichts ge¬ mein, die aus hoͤchſter Verachtung entſteht und die einen chriſtlichen Prieſter ſo leicht wie einen aͤgypti¬ ſchen ertraͤgt: ſondern ſie kam aus ſeiner Meinung, daß die Kirchen noch die einzigen Sonntagsſchulen und ſpartiſchen Schulpforten und Seminarien des armen Volkes ſind, das ſeinen cours de morale nicht beim Staate hoͤren kann. Auch liebte er als Juͤngling die Lieblinge ſeiner Kindheit. Viele Prediger ſuchen den Quintilian, der ſchlechte Gruͤnde in Reden voran geſtellet haben will, und den Cicero, der ſie hintennach will, zu vereinigen und poſtiren ſie an beiden Orten; aber Eymann hielt gute Empfindungen fuͤr beſſer als ſchlechte Gruͤnde und wand um den Bauern nicht Schluß- ſondern Blumenketten. Der Friſeur ging anfangs nicht in die Kirche, weils unter ſeinen Stand war, aber nachher konnt' er nicht anders: denn wegen des fremden Hofherrns darin wurde Kirchenmuſik gemacht. Es iſt der einzige Fehler des Peruͤckenmacher Meuſeler, daß er zu gern ſingt und ſeine Kehle in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/85
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/85>, abgerufen am 01.05.2024.