aus seinem Traume ihm unter dem Blumenhügel noch einmal zu und er hört es wieder. -- --
Hier riß er freudig alle seine Wunden auf und ließ sie frei hin bluten in Thränen -- sie überzogen mit trüben Strömen das Angesicht, das sanft oft gelächelt hatte aber immer gutmüthig und das an¬ dern keine abgepresset sondern abgetrocknet hatte -- jede Fluth war eine weggehobne Last, aber das Herz wurde darauf wieder schwer und vergoß die neue Fluth -- Endlich konnt' er die Töne wieder hören, die meisten sanken unter eh' sie an den Thurm ge¬ flossen waren, kleine kamen sterbend an und zergin¬ gen in seinem dunkeln Herzen -- jeder Ton war eine fallende Thräne und machte ihn leichter und sprach seinen Kummer aus -- der Garten schien aus sanft ertönenden, gebrochen-überdämmerten, dunkelgrünen Schattenwogen zu bestehen -- er riß, von Erin¬ nerung gestochen, das Auge davon weg: "was geht "er mich mehr an" -- Aber endlich stieg aus die¬ sem Schatten-Eden und aus der Viole d'Amour das Lied "Vergiß mein nicht" zu seinem müden Herzen auf und gab ihm wieder den sanftern Schmerz und die vergangne Liebe: "Nein, sagt' er, ich vergesse "dein auch nicht, ob du mich gleich nicht geliebt -- "Deine Gestalt wird mich doch ewig rühren und an "meine Träume erinnern -- ach du himmlische, es
aus ſeinem Traume ihm unter dem Blumenhuͤgel noch einmal zu und er hoͤrt es wieder. — —
Hier riß er freudig alle ſeine Wunden auf und ließ ſie frei hin bluten in Thraͤnen — ſie uͤberzogen mit truͤben Stroͤmen das Angeſicht, das ſanft oft gelaͤchelt hatte aber immer gutmuͤthig und das an¬ dern keine abgepreſſet ſondern abgetrocknet hatte — jede Fluth war eine weggehobne Laſt, aber das Herz wurde darauf wieder ſchwer und vergoß die neue Fluth — Endlich konnt' er die Toͤne wieder hoͤren, die meiſten ſanken unter eh' ſie an den Thurm ge¬ floſſen waren, kleine kamen ſterbend an und zergin¬ gen in ſeinem dunkeln Herzen — jeder Ton war eine fallende Thraͤne und machte ihn leichter und ſprach ſeinen Kummer aus — der Garten ſchien aus ſanft ertoͤnenden, gebrochen-uͤberdaͤmmerten, dunkelgruͤnen Schattenwogen zu beſtehen — er riß, von Erin¬ nerung geſtochen, das Auge davon weg: »was geht »er mich mehr an« — Aber endlich ſtieg aus die¬ ſem Schatten-Eden und aus der Viole d'Amour das Lied »Vergiß mein nicht« zu ſeinem muͤden Herzen auf und gab ihm wieder den ſanftern Schmerz und die vergangne Liebe: »Nein, ſagt' er, ich vergeſſe »dein auch nicht, ob du mich gleich nicht geliebt — »Deine Geſtalt wird mich doch ewig ruͤhren und an »meine Traͤume erinnern — ach du himmliſche, es
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aus ſeinem Traume ihm unter dem Blumenhuͤgel
noch einmal zu und er hoͤrt es wieder. — —
Hier riß er freudig alle ſeine Wunden auf und
ließ ſie frei hin bluten in Thraͤnen — ſie uͤberzogen
mit truͤben Stroͤmen das Angeſicht, das ſanft oft
gelaͤchelt hatte aber immer gutmuͤthig und das an¬
dern keine abgepreſſet ſondern abgetrocknet hatte —
jede Fluth war eine weggehobne Laſt, aber das Herz
wurde darauf wieder ſchwer und vergoß die neue
Fluth — Endlich konnt' er die Toͤne wieder hoͤren,
die meiſten ſanken unter eh' ſie an den Thurm ge¬
floſſen waren, kleine kamen ſterbend an und zergin¬
gen in ſeinem dunkeln Herzen — jeder Ton war
eine fallende Thraͤne und machte ihn leichter und ſprach
ſeinen Kummer aus — der Garten ſchien aus ſanft
ertoͤnenden, gebrochen-uͤberdaͤmmerten, dunkelgruͤnen
Schattenwogen zu beſtehen — er riß, von Erin¬
nerung geſtochen, das Auge davon weg: »was geht
»er mich mehr an« — Aber endlich ſtieg aus die¬
ſem Schatten-Eden und aus der Viole d'Amour das
Lied »Vergiß mein nicht« zu ſeinem muͤden Herzen
auf und gab ihm wieder den ſanftern Schmerz und
die vergangne Liebe: »Nein, ſagt' er, ich vergeſſe
»dein auch nicht, ob du mich gleich nicht geliebt —
»Deine Geſtalt wird mich doch ewig ruͤhren und an
»meine Traͤume erinnern — ach du himmliſche, es
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/103>, abgerufen am 22.11.2024.
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