"so unglüklich wie ein Arzt. Ein lebhafter Patho¬ "log kann wenig Krankheiten beschreiben, die nicht "ein lebhafter Leser zu haben meine; dem Hypochon¬ "dristen inokuliert er durch seine historischen Patien¬ "ten ihre Wehen so gut, als wenn er ihn ins Bette "zu ihnen legte; und ich bin fest versichert, daß we¬ "nige Leute von Stande lebhafte Schilderungen der "venerischen Seuche lesen können, ohne sich ein¬ "zubilden, sie hätten sie, so schwach sind ihre Ner¬ "ven und so stark ihre Phantasien. Hingegen ein "Satiriker kann sich Hofnung machen, daß selten ein "Leser seine Gemälde moralischer Krankheiten, seine "anatomischen Tafeln von geistigen Misgeburten auf "sich anwenden werde; er kann froh und frei De¬ "spotismus, Schwäche, Stolz und Narrheit ohne die "geringste Sorge malen, daß einer dergleichen zu haben "sich einbilde; ja ich kann das ganze Publikum oder "alle Deutsche einer ästhetischen Lethargie, einer po¬ "litischen Atonie, eines kammeralistischen Phlegma "gegen alles was nicht in den Magen oder Beutel "geht, beschuldigen; aber ich traue jedem, der mich "lieset zu, daß er wenigstens sich nicht darunter "rechne und wenn dieser Brief gedruckt würde, "wollt' ich mich auf eines jeden inneres Zeugniß "berufen. -- Der einzige Akteur, dessen wahren Na¬ "men ich in diesem historischen Schauspiel haben
»ſo ungluͤklich wie ein Arzt. Ein lebhafter Patho¬ »log kann wenig Krankheiten beſchreiben, die nicht »ein lebhafter Leſer zu haben meine; dem Hypochon¬ »driſten inokuliert er durch ſeine hiſtoriſchen Patien¬ »ten ihre Wehen ſo gut, als wenn er ihn ins Bette »zu ihnen legte; und ich bin feſt verſichert, daß we¬ »nige Leute von Stande lebhafte Schilderungen der »veneriſchen Seuche leſen koͤnnen, ohne ſich ein¬ »zubilden, ſie haͤtten ſie, ſo ſchwach ſind ihre Ner¬ »ven und ſo ſtark ihre Phantaſien. Hingegen ein »Satiriker kann ſich Hofnung machen, daß ſelten ein »Leſer ſeine Gemaͤlde moraliſcher Krankheiten, ſeine »anatomiſchen Tafeln von geiſtigen Misgeburten auf »ſich anwenden werde; er kann froh und frei De¬ »ſpotismus, Schwaͤche, Stolz und Narrheit ohne die »geringſte Sorge malen, daß einer dergleichen zu haben »ſich einbilde; ja ich kann das ganze Publikum oder »alle Deutſche einer aͤſthetiſchen Lethargie, einer po¬ »litiſchen Atonie, eines kammeraliſtiſchen Phlegma »gegen alles was nicht in den Magen oder Beutel »geht, beſchuldigen; aber ich traue jedem, der mich »lieſet zu, daß er wenigſtens ſich nicht darunter »rechne und wenn dieſer Brief gedruckt wuͤrde, »wollt' ich mich auf eines jeden inneres Zeugniß »berufen. — Der einzige Akteur, deſſen wahren Na¬ »men ich in dieſem hiſtoriſchen Schauſpiel haben
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»ſo ungluͤklich wie ein Arzt. Ein lebhafter Patho¬
»log kann wenig Krankheiten beſchreiben, die nicht
»ein lebhafter Leſer zu haben meine; dem Hypochon¬
»driſten inokuliert er durch ſeine hiſtoriſchen Patien¬
»ten ihre Wehen ſo gut, als wenn er ihn ins Bette
»zu ihnen legte; und ich bin feſt verſichert, daß we¬
»nige Leute von Stande lebhafte Schilderungen der
»veneriſchen Seuche leſen koͤnnen, ohne ſich ein¬
»zubilden, ſie haͤtten ſie, ſo ſchwach ſind ihre Ner¬
»ven und ſo ſtark ihre Phantaſien. Hingegen ein
»Satiriker kann ſich Hofnung machen, daß ſelten ein
»Leſer ſeine Gemaͤlde moraliſcher Krankheiten, ſeine
»anatomiſchen Tafeln von geiſtigen Misgeburten auf
»ſich anwenden werde; er kann froh und frei De¬
»ſpotismus, Schwaͤche, Stolz und Narrheit ohne die
»geringſte Sorge malen, daß einer dergleichen zu haben
»ſich einbilde; ja ich kann das ganze Publikum oder
»alle Deutſche einer aͤſthetiſchen Lethargie, einer po¬
»litiſchen Atonie, eines kammeraliſtiſchen Phlegma
»gegen alles was nicht in den Magen oder Beutel
»geht, beſchuldigen; aber ich traue jedem, der mich
»lieſet zu, daß er wenigſtens ſich nicht darunter
»rechne und wenn dieſer Brief gedruckt wuͤrde,
»wollt' ich mich auf eines jeden inneres Zeugniß
»berufen. — Der einzige Akteur, deſſen wahren Na¬
»men ich in dieſem hiſtoriſchen Schauſpiel haben
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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