ke -- in den Boden des Augapfels hinab; und so, da ein Atem sechs Linien tief versenkt war, hatte ein Mensch die Unermeslichkeit wieder und ein Va¬ ter den Sohn. Gebrükter Mensch! der du zugleich ein Sohn und ein Knecht des Staubes bist, wie klein ist der Gedanke, die Minute, der Bluts- oder Thränentropfe, der dein weites Gehirn, dein weites Herz überschwilt! Und wenn ein Paar Blutkügelgen bald deine Montgolfier's Kugeln bald deine Belidors Drukkugeln werden, ach wie wenig Erde ist es, was dich hebt und drükt! --
"Du Viktor? -- Du hast mich geheilt, mein "Sohn?" (sagte der Errettete und fassete die noch mit dem Apparat bewafnete Hand) "-- leg' weg und "bind mich wieder zu; ich freue mich, daß ich dich zuerst gesehen." Er band das geöfnete Auge unter den stillen freudigen Thränen des seinigen wieder zu; aber als der Verband dem Stoiker alles verdekte, die Erröthung und die Ergiessung: so wars dem glücklichen Sohne unmöglich, sich länger zu halten -- er überließ sich seinem Herzen und klammerte sich mit seinen Thränen und Armen an das verhüllte Angesicht, dem er hellere Tage wiedergegeben hatte, und als die Fluth der Liebe, seinen zitternden Bu¬ sen überzog: so fühlt' er doch davon die schnellern Schläge des väterlichen und die festere Umarmung
Hesperus. I. Th. C
ke — in den Boden des Augapfels hinab; und ſo, da ein Atem ſechs Linien tief verſenkt war, hatte ein Menſch die Unermeslichkeit wieder und ein Va¬ ter den Sohn. Gebruͤkter Menſch! der du zugleich ein Sohn und ein Knecht des Staubes biſt, wie klein iſt der Gedanke, die Minute, der Bluts- oder Thraͤnentropfe, der dein weites Gehirn, dein weites Herz uͤberſchwilt! Und wenn ein Paar Blutkuͤgelgen bald deine Montgolfier's Kugeln bald deine Belidors Drukkugeln werden, ach wie wenig Erde iſt es, was dich hebt und druͤkt! —
»Du Viktor? — Du haſt mich geheilt, mein »Sohn?« (ſagte der Errettete und faſſete die noch mit dem Apparat bewafnete Hand) »— leg' weg und »bind mich wieder zu; ich freue mich, daß ich dich zuerſt geſehen.« Er band das geoͤfnete Auge unter den ſtillen freudigen Thraͤnen des ſeinigen wieder zu; aber als der Verband dem Stoiker alles verdekte, die Erroͤthung und die Ergieſſung: ſo wars dem gluͤcklichen Sohne unmoͤglich, ſich laͤnger zu halten — er uͤberließ ſich ſeinem Herzen und klammerte ſich mit ſeinen Thraͤnen und Armen an das verhuͤllte Angeſicht, dem er hellere Tage wiedergegeben hatte, und als die Fluth der Liebe, ſeinen zitternden Bu¬ ſen uͤberzog: ſo fuͤhlt' er doch davon die ſchnellern Schlaͤge des vaͤterlichen und die feſtere Umarmung
Heſperus. I. Th. C
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ke — in den Boden des Augapfels hinab; und ſo,
da ein Atem ſechs Linien tief verſenkt war, hatte
ein Menſch die Unermeslichkeit wieder und ein Va¬
ter den Sohn. Gebruͤkter Menſch! der du zugleich
ein Sohn und ein Knecht des Staubes biſt, wie
klein iſt der Gedanke, die Minute, der Bluts- oder
Thraͤnentropfe, der dein weites Gehirn, dein weites
Herz uͤberſchwilt! Und wenn ein Paar Blutkuͤgelgen
bald deine Montgolfier's Kugeln bald deine Belidors
Drukkugeln werden, ach wie wenig Erde iſt es, was
dich hebt und druͤkt! —
»Du Viktor? — Du haſt mich geheilt, mein
»Sohn?« (ſagte der Errettete und faſſete die noch
mit dem Apparat bewafnete Hand) »— leg' weg und
»bind mich wieder zu; ich freue mich, daß ich dich
zuerſt geſehen.« Er band das geoͤfnete Auge unter
den ſtillen freudigen Thraͤnen des ſeinigen wieder zu;
aber als der Verband dem Stoiker alles verdekte,
die Erroͤthung und die Ergieſſung: ſo wars dem
gluͤcklichen Sohne unmoͤglich, ſich laͤnger zu halten
— er uͤberließ ſich ſeinem Herzen und klammerte
ſich mit ſeinen Thraͤnen und Armen an das verhuͤllte
Angeſicht, dem er hellere Tage wiedergegeben hatte,
und als die Fluth der Liebe, ſeinen zitternden Bu¬
ſen uͤberzog: ſo fuͤhlt' er doch davon die ſchnellern
Schlaͤge des vaͤterlichen und die feſtere Umarmung
Heſperus. I. Th. C
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/44>, abgerufen am 23.11.2024.
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