in den Zirkeln der Welten -- denn entweder ist alles oder nichts sein Schattenbild -- so mahlt die Sonne ihr Bild auf alle Wesen, groß in Weltmeere, bunt in Thautropfen, klein auf die Menschen-Netz¬ haut als Nebensonne in die Wolke, roth auf den Apfel, silbern auf den Strom, bunt in den fallenden Regen und schimmernd über den ganzen Mond und über ihre Welten:
Viktor fühlte heute zum erstenmale die Vergrö¬ ßerung und Palingenesie seines Ichs vor einem Gei¬ ste, der ihm ähnlich aber überlegen, gleich ei¬ nem sphärischen Hohlspiegel alle Züge seines edlern Theils kolossalisch zurückwarf. Der ganze pöbelhafte Theil seiner Natur verkroch sich, als der höhere sich, von Dahore ins Große gemahlt, über die liegenden Triebe aufrichtete. Ein Mensch, den die Sonnen¬ nähe eines großen Menschen nicht in Flammen und außer sich setzet, ist nichts werth. Er wollte kaum sprechen, um nur immer ihn zu hören, ob er gleich vorhatte, recht viele Tage da zu bleiben. Er war wie vor einem höhern Wesen und vor einer Gelieb¬ ten, vor denen man weder seinen Kopf noch seine Zunge präsentiren will, mit Verzicht auf sein Ich in lautere Wahrheit und Liebe versunken. Von den kleinen Verhältnissen des Orts und des bürgerlichen Lebens war aller Firniß so rein abgesprungen und sie standen ihm alle so vermooset da, daß er nicht ein¬
in den Zirkeln der Welten — denn entweder iſt alles oder nichts ſein Schattenbild — ſo mahlt die Sonne ihr Bild auf alle Weſen, groß in Weltmeere, bunt in Thautropfen, klein auf die Menſchen-Netz¬ haut als Nebenſonne in die Wolke, roth auf den Apfel, ſilbern auf den Strom, bunt in den fallenden Regen und ſchimmernd uͤber den ganzen Mond und uͤber ihre Welten:
Viktor fuͤhlte heute zum erſtenmale die Vergroͤ¬ ßerung und Palingeneſie ſeines Ichs vor einem Gei¬ ſte, der ihm aͤhnlich aber uͤberlegen, gleich ei¬ nem ſphaͤriſchen Hohlſpiegel alle Zuͤge ſeines edlern Theils koloſſaliſch zuruͤckwarf. Der ganze poͤbelhafte Theil ſeiner Natur verkroch ſich, als der hoͤhere ſich, von Dahore ins Große gemahlt, uͤber die liegenden Triebe aufrichtete. Ein Menſch, den die Sonnen¬ naͤhe eines großen Menſchen nicht in Flammen und außer ſich ſetzet, iſt nichts werth. Er wollte kaum ſprechen, um nur immer ihn zu hoͤren, ob er gleich vorhatte, recht viele Tage da zu bleiben. Er war wie vor einem hoͤhern Weſen und vor einer Gelieb¬ ten, vor denen man weder ſeinen Kopf noch ſeine Zunge praͤſentiren will, mit Verzicht auf ſein Ich in lautere Wahrheit und Liebe verſunken. Von den kleinen Verhaͤltniſſen des Orts und des buͤrgerlichen Lebens war aller Firniß ſo rein abgeſprungen und ſie ſtanden ihm alle ſo vermooſet da, daß er nicht ein¬
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in den Zirkeln der Welten — denn entweder iſt
alles oder nichts ſein Schattenbild — ſo mahlt die
Sonne ihr Bild auf alle Weſen, groß in Weltmeere,
bunt in Thautropfen, klein auf die Menſchen-Netz¬
haut als Nebenſonne in die Wolke, roth auf den
Apfel, ſilbern auf den Strom, bunt in den fallenden
Regen und ſchimmernd uͤber den ganzen Mond und
uͤber ihre Welten:
Viktor fuͤhlte heute zum erſtenmale die Vergroͤ¬
ßerung und Palingeneſie ſeines Ichs vor einem Gei¬
ſte, der ihm aͤhnlich aber uͤberlegen, gleich ei¬
nem ſphaͤriſchen Hohlſpiegel alle Zuͤge ſeines edlern
Theils koloſſaliſch zuruͤckwarf. Der ganze poͤbelhafte
Theil ſeiner Natur verkroch ſich, als der hoͤhere ſich,
von Dahore ins Große gemahlt, uͤber die liegenden
Triebe aufrichtete. Ein Menſch, den die Sonnen¬
naͤhe eines großen Menſchen nicht in Flammen und
außer ſich ſetzet, iſt nichts werth. Er wollte kaum
ſprechen, um nur immer ihn zu hoͤren, ob er gleich
vorhatte, recht viele Tage da zu bleiben. Er war
wie vor einem hoͤhern Weſen und vor einer Gelieb¬
ten, vor denen man weder ſeinen Kopf noch ſeine
Zunge praͤſentiren will, mit Verzicht auf ſein Ich
in lautere Wahrheit und Liebe verſunken. Von den
kleinen Verhaͤltniſſen des Orts und des buͤrgerlichen
Lebens war aller Firniß ſo rein abgeſprungen und ſie
ſtanden ihm alle ſo vermooſet da, daß er nicht ein¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/338>, abgerufen am 24.11.2024.
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