ansehen, wenn er zur Thür hereinkommt, ob er als Almosensammler und Werkheiliger oder als blosser Freudenklubist einspreche.
Noch ehe die Leute aus der Kirche gingen, fas¬ sete er schon herzliche Liebe zum Fürsten -- die Ur¬ sache war, er wollt' ihn lieben und wenn der Teufel da stände. Er sagte oft, gebt mir zwei Ta¬ ge oder Eine Nacht, so will ich mich verlieben in wen ihr vorschlagt. Er fand mit Vergnügen auf Jenners Gesicht keinen Sekunden, keinen Monats¬ zeiger der Schäferstunden, mit denen ein guter Zäsar sonst gern die langweiligen Ehejahre frem¬ der Eheweiber wie mit Flitterwochen zu durch¬ schiessen sucht: sondern in seinem Gesichte war nichts als Enthaltsamkeit aufgeschlagen, und Viktor pflichtete lieber dem Gesichte als dem Rufe bey. Er schiesset fehl: denn auf das männliche Gesicht -- ob es gleich wie gewisse Gemälde aus Lettern, eben so aus lauter Buchstaben der Physiognomik gemacht ist -- hat doch die Natur die Matres lectionis und Malzeichen der Wollust sehr klein geschrieben, auf das weibliche aber grösser; welches ein wahres Glück für das erste und stärkere und -- unkeuschere Ge¬ schlecht ist. -- Ueberhaupt ist Ehebrechen nichts als eine gelindere Art von Regieren und Kriegen. Gleichwohl stellen rechtschaffene Regenten die Wei¬ ber, sobald sie solche erobert haben, stets dem vori¬
anſehen, wenn er zur Thuͤr hereinkommt, ob er als Almoſenſammler und Werkheiliger oder als bloſſer Freudenklubiſt einſpreche.
Noch ehe die Leute aus der Kirche gingen, faſ¬ ſete er ſchon herzliche Liebe zum Fuͤrſten — die Ur¬ ſache war, er wollt' ihn lieben und wenn der Teufel da ſtaͤnde. Er ſagte oft, gebt mir zwei Ta¬ ge oder Eine Nacht, ſo will ich mich verlieben in wen ihr vorſchlagt. Er fand mit Vergnuͤgen auf Jenners Geſicht keinen Sekunden, keinen Monats¬ zeiger der Schaͤferſtunden, mit denen ein guter Zaͤſar ſonſt gern die langweiligen Ehejahre frem¬ der Eheweiber wie mit Flitterwochen zu durch¬ ſchieſſen ſucht: ſondern in ſeinem Geſichte war nichts als Enthaltſamkeit aufgeſchlagen, und Viktor pflichtete lieber dem Geſichte als dem Rufe bey. Er ſchieſſet fehl: denn auf das maͤnnliche Geſicht — ob es gleich wie gewiſſe Gemaͤlde aus Lettern, eben ſo aus lauter Buchſtaben der Phyſiognomik gemacht iſt — hat doch die Natur die Matres lectionis und Malzeichen der Wolluſt ſehr klein geſchrieben, auf das weibliche aber groͤſſer; welches ein wahres Gluͤck fuͤr das erſte und ſtaͤrkere und — unkeuſchere Ge¬ ſchlecht iſt. — Ueberhaupt iſt Ehebrechen nichts als eine gelindere Art von Regieren und Kriegen. Gleichwohl ſtellen rechtſchaffene Regenten die Wei¬ ber, ſobald ſie ſolche erobert haben, ſtets dem vori¬
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anſehen, wenn er zur Thuͤr hereinkommt, ob er als
Almoſenſammler und Werkheiliger oder als
bloſſer Freudenklubiſt einſpreche.
Noch ehe die Leute aus der Kirche gingen, faſ¬
ſete er ſchon herzliche Liebe zum Fuͤrſten — die Ur¬
ſache war, er wollt' ihn lieben und wenn der
Teufel da ſtaͤnde. Er ſagte oft, gebt mir zwei Ta¬
ge oder Eine Nacht, ſo will ich mich verlieben in
wen ihr vorſchlagt. Er fand mit Vergnuͤgen auf
Jenners Geſicht keinen Sekunden, keinen Monats¬
zeiger der Schaͤferſtunden, mit denen ein guter
Zaͤſar ſonſt gern die langweiligen Ehejahre frem¬
der Eheweiber wie mit Flitterwochen zu durch¬
ſchieſſen ſucht: ſondern in ſeinem Geſichte war
nichts als Enthaltſamkeit aufgeſchlagen, und Viktor
pflichtete lieber dem Geſichte als dem Rufe bey. Er
ſchieſſet fehl: denn auf das maͤnnliche Geſicht —
ob es gleich wie gewiſſe Gemaͤlde aus Lettern, eben
ſo aus lauter Buchſtaben der Phyſiognomik gemacht
iſt — hat doch die Natur die Matres lectionis und
Malzeichen der Wolluſt ſehr klein geſchrieben, auf
das weibliche aber groͤſſer; welches ein wahres Gluͤck
fuͤr das erſte und ſtaͤrkere und — unkeuſchere Ge¬
ſchlecht iſt. — Ueberhaupt iſt Ehebrechen nichts als
eine gelindere Art von Regieren und Kriegen.
Gleichwohl ſtellen rechtſchaffene Regenten die Wei¬
ber, ſobald ſie ſolche erobert haben, ſtets dem vori¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/213>, abgerufen am 25.11.2024.
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