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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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Wehe größere Wellen auf mich zu, Morgenluft!
Ziehe mich in deine weiten Fluten, die über unsern
Auen und Wäldern stehen und führe mich im Blü¬
tengewölk' über funkelnde Gärten und über glimmen¬
de Ströme und laß mich, zwischen fliegenden Blü¬
ten und Schmetterlingen taumelnd, in der Sonne
mit ausgebreiteten Armen zerfließend, leise über der
Erde schwebend sterben und die Bluthülle falle zer¬
ronnen zu einer rothen Morgenflocke, gleich dem
Ichor des Schmetterlings *), der sich befreiet, in
die Blumen herab und den blauhellen Geist säuge
ein heißer Sonnenstral aus dem Rosenkelch des Her¬
zens in die zweite Welt hinauf. -- -- Ach ihr Ge¬
liebten, ihr Abgeschiednen, seid ihrs, zieht ihr denn
jetzt als dunkle Wellen **)im bebenden Blau des
Himmels dahin, wogen in jener Tiefe voll überhüll¬
ter Welten, jetzt eure Aetherhüllen um die verdeck¬
ten Sonnen? Ach kommt wieder, woget wieder, in
einem Jahr rinn' ich aufgelöst in euer Herz!

-- Und du, mein Freund, suche mich bald! Dich
kann auf der Erde keiner so lieben wie ein Mensch,

*) Den Schmetterlingen entfallen in Ihrer letzten Verwand¬
lung rothe Tropfen, die man sonst Blutregen hieß.
**) Wenn man lange ins Himmelsblaue schauet: so fängt
es an zu wallen und diese Luftwogen hält man in der Kind¬
heit für spielende Engel.
Hesperus. I. Th. N

Wehe groͤßere Wellen auf mich zu, Morgenluft!
Ziehe mich in deine weiten Fluten, die uͤber unſern
Auen und Waͤldern ſtehen und fuͤhre mich im Bluͤ¬
tengewoͤlk' uͤber funkelnde Gaͤrten und uͤber glimmen¬
de Stroͤme und laß mich, zwiſchen fliegenden Bluͤ¬
ten und Schmetterlingen taumelnd, in der Sonne
mit ausgebreiteten Armen zerfließend, leiſe uͤber der
Erde ſchwebend ſterben und die Bluthuͤlle falle zer¬
ronnen zu einer rothen Morgenflocke, gleich dem
Ichor des Schmetterlings *), der ſich befreiet, in
die Blumen herab und den blauhellen Geiſt ſaͤuge
ein heißer Sonnenſtral aus dem Roſenkelch des Her¬
zens in die zweite Welt hinauf. — — Ach ihr Ge¬
liebten, ihr Abgeſchiednen, ſeid ihrs, zieht ihr denn
jetzt als dunkle Wellen **)im bebenden Blau des
Himmels dahin, wogen in jener Tiefe voll uͤberhuͤll¬
ter Welten, jetzt eure Aetherhuͤllen um die verdeck¬
ten Sonnen? Ach kommt wieder, woget wieder, in
einem Jahr rinn' ich aufgeloͤſt in euer Herz!

— Und du, mein Freund, ſuche mich bald! Dich
kann auf der Erde keiner ſo lieben wie ein Menſch,

*) Den Schmetterlingen entfallen in Ihrer letzten Verwand¬
lung rothe Tropfen, die man ſonſt Blutregen hieß.
**) Wenn man lange ins Himmelsblaue ſchauet: ſo faͤngt
es an zu wallen und dieſe Luftwogen haͤlt man in der Kind¬
heit fuͤr ſpielende Engel.
Heſperus. I. Th. N
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[193/0204] Wehe groͤßere Wellen auf mich zu, Morgenluft! Ziehe mich in deine weiten Fluten, die uͤber unſern Auen und Waͤldern ſtehen und fuͤhre mich im Bluͤ¬ tengewoͤlk' uͤber funkelnde Gaͤrten und uͤber glimmen¬ de Stroͤme und laß mich, zwiſchen fliegenden Bluͤ¬ ten und Schmetterlingen taumelnd, in der Sonne mit ausgebreiteten Armen zerfließend, leiſe uͤber der Erde ſchwebend ſterben und die Bluthuͤlle falle zer¬ ronnen zu einer rothen Morgenflocke, gleich dem Ichor des Schmetterlings *), der ſich befreiet, in die Blumen herab und den blauhellen Geiſt ſaͤuge ein heißer Sonnenſtral aus dem Roſenkelch des Her¬ zens in die zweite Welt hinauf. — — Ach ihr Ge¬ liebten, ihr Abgeſchiednen, ſeid ihrs, zieht ihr denn jetzt als dunkle Wellen **)im bebenden Blau des Himmels dahin, wogen in jener Tiefe voll uͤberhuͤll¬ ter Welten, jetzt eure Aetherhuͤllen um die verdeck¬ ten Sonnen? Ach kommt wieder, woget wieder, in einem Jahr rinn' ich aufgeloͤſt in euer Herz! — Und du, mein Freund, ſuche mich bald! Dich kann auf der Erde keiner ſo lieben wie ein Menſch, *) Den Schmetterlingen entfallen in Ihrer letzten Verwand¬ lung rothe Tropfen, die man ſonſt Blutregen hieß. **) Wenn man lange ins Himmelsblaue ſchauet: ſo faͤngt es an zu wallen und dieſe Luftwogen haͤlt man in der Kind¬ heit fuͤr ſpielende Engel. Heſperus. I. Th. N

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/204>, abgerufen am 28.11.2024.