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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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begleitete seine blinden Schritte bewachend. "Al¬
lerdings, Freund, taugen die Menschen und die
Gurken nichts, sobald sie reif sind; das ist ja
mein eigner Satz. Der Mensch im Allgemeinen
verdient viele Nasen von Gott, und mehrere Na¬
sen, als sich je durch einen alten Theatervorhang
gesteckt haben, den man daher an manchen Orten
in Blech einfaßte. Die Gründe sind freilich nicht
jedem geläufig."

Jezt ging er in seinen Zimmerverschlag und
pakte, blinzelnd und sich oft von Walt abkeh¬
rend, sein Tagebuch und alles in den Koffer.
"Auf der Flöte? -- Nein, sondern auf dem
Kamm will ich ihn künftig anblasen und ab¬
kämmen. Sagen Sie mir nichts von Liebe, H.
Reisemarschall, sie ist zu dumm, eine hübsche
Antike, die man den ganzen Tag ergänzen muß
-- ein Sonnentempel in Hosentaschenformat --
und das dumme Ding glaubt, es lebe. Ich
hab' es von ihr selber. Der Mensch führt sogar
Gott vor einen Vergrößerungsspiegel, so uner¬
sättlich und so einfältig ist er -- Stecht mich in
Kupfer, wie einen brittischen Kampfhahn, ich

begleitete ſeine blinden Schritte bewachend. „Al¬
lerdings, Freund, taugen die Menſchen und die
Gurken nichts, ſobald ſie reif ſind; das iſt ja
mein eigner Satz. Der Menſch im Allgemeinen
verdient viele Naſen von Gott, und mehrere Na¬
ſen, als ſich je durch einen alten Theatervorhang
geſteckt haben, den man daher an manchen Orten
in Blech einfaßte. Die Gruͤnde ſind freilich nicht
jedem gelaͤufig.“

Jezt ging er in ſeinen Zimmerverſchlag und
pakte, blinzelnd und ſich oft von Walt abkeh¬
rend, ſein Tagebuch und alles in den Koffer.
„Auf der Floͤte? — Nein, ſondern auf dem
Kamm will ich ihn kuͤnftig anblaſen und ab¬
kaͤmmen. Sagen Sie mir nichts von Liebe, H.
Reiſemarſchall, ſie iſt zu dumm, eine huͤbſche
Antike, die man den ganzen Tag ergaͤnzen muß
— ein Sonnentempel in Hoſentaſchenformat —
und das dumme Ding glaubt, es lebe. Ich
hab' es von ihr ſelber. Der Menſch fuͤhrt ſogar
Gott vor einen Vergroͤßerungsſpiegel, ſo uner¬
ſaͤttlich und ſo einfaͤltig iſt er — Stecht mich in
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[300/0306] begleitete ſeine blinden Schritte bewachend. „Al¬ lerdings, Freund, taugen die Menſchen und die Gurken nichts, ſobald ſie reif ſind; das iſt ja mein eigner Satz. Der Menſch im Allgemeinen verdient viele Naſen von Gott, und mehrere Na¬ ſen, als ſich je durch einen alten Theatervorhang geſteckt haben, den man daher an manchen Orten in Blech einfaßte. Die Gruͤnde ſind freilich nicht jedem gelaͤufig.“ Jezt ging er in ſeinen Zimmerverſchlag und pakte, blinzelnd und ſich oft von Walt abkeh¬ rend, ſein Tagebuch und alles in den Koffer. „Auf der Floͤte? — Nein, ſondern auf dem Kamm will ich ihn kuͤnftig anblaſen und ab¬ kaͤmmen. Sagen Sie mir nichts von Liebe, H. Reiſemarſchall, ſie iſt zu dumm, eine huͤbſche Antike, die man den ganzen Tag ergaͤnzen muß — ein Sonnentempel in Hoſentaſchenformat — und das dumme Ding glaubt, es lebe. Ich hab' es von ihr ſelber. Der Menſch fuͤhrt ſogar Gott vor einen Vergroͤßerungsſpiegel, ſo uner¬ ſaͤttlich und ſo einfaͤltig iſt er — Stecht mich in Kupfer, wie einen brittiſchen Kampfhahn, ich

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/306>, abgerufen am 06.05.2024.