Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

ner friedlichen Anhöhe -- dem Wäldchen gegen¬
über -- konnt' er, während er das medizinische
Miserere des Schicksals durch Dichten und Em¬
pfinden in ein musikalisches verwandelte, recht gut
wahrnehmen, daß schon mehrere Erben mit ver¬
ständigen Holzhauern im Erb-Forste lustwandel¬
ten, um einträchtig mit Waldhämmern ihr Gna¬
denholz einzuplätzen. Endlich ritt im Schritt
Flitte an der Spitze einer holzersparenden Gesell¬
schaft mit Aexten, Sägen, Maßstäben in den
Händen, den Wald hinan. Gleich einem Wittwer,
der seine Halbtrauer täglich in kleinere Brüche zer¬
fällt, in Drittelstrauer, in ein 1/4, 1/8 , Theil --
wiewohl die Trauer oder der Zähler nie null wer¬
den kann, nach mathematischen Gesetzen -- ver¬
kehrte Walt bei diesem Anblick seine schwache Halb¬
trauer, arithmetisch zu sprechen, in einen unend¬
lich großen Nenner und in einen unendlich kleinen
Zähler, d. h. er wurde das, was man gemeinhin
froh nennt. "Es ist schon recht, dacht' er, daß
ich dem guten Flitte für seine gutmüthige Erbein¬
setzung meiner Person, doch einen schwachen Dank
durch meine Fehler zuschanze; er habe recht viele

ner friedlichen Anhoͤhe — dem Waͤldchen gegen¬
uͤber — konnt' er, waͤhrend er das mediziniſche
Miſerere des Schickſals durch Dichten und Em¬
pfinden in ein muſikaliſches verwandelte, recht gut
wahrnehmen, daß ſchon mehrere Erben mit ver¬
ſtaͤndigen Holzhauern im Erb-Forſte luſtwandel¬
ten, um eintraͤchtig mit Waldhaͤmmern ihr Gna¬
denholz einzuplaͤtzen. Endlich ritt im Schritt
Flitte an der Spitze einer holzerſparenden Geſell¬
ſchaft mit Aexten, Saͤgen, Maßſtaͤben in den
Haͤnden, den Wald hinan. Gleich einem Wittwer,
der ſeine Halbtrauer taͤglich in kleinere Bruͤche zer¬
faͤllt, in Drittelstrauer, in ein ¼, ⅛, Theil —
wiewohl die Trauer oder der Zaͤhler nie null wer¬
den kann, nach mathematiſchen Geſetzen — ver¬
kehrte Walt bei dieſem Anblick ſeine ſchwache Halb¬
trauer, arithmetiſch zu ſprechen, in einen unend¬
lich großen Nenner und in einen unendlich kleinen
Zaͤhler, d. h. er wurde das, was man gemeinhin
froh nennt. „Es iſt ſchon recht, dacht' er, daß
ich dem guten Flitte fuͤr ſeine gutmuͤthige Erbein¬
ſetzung meiner Perſon, doch einen ſchwachen Dank
durch meine Fehler zuſchanze; er habe recht viele

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028" n="22"/>
ner friedlichen Anho&#x0364;he &#x2014; dem Wa&#x0364;ldchen gegen¬<lb/>
u&#x0364;ber &#x2014; konnt' er, wa&#x0364;hrend er das medizini&#x017F;che<lb/>
Mi&#x017F;erere des Schick&#x017F;als durch Dichten und Em¬<lb/>
pfinden in ein mu&#x017F;ikali&#x017F;ches verwandelte, recht gut<lb/>
wahrnehmen, daß &#x017F;chon mehrere Erben mit ver¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigen Holzhauern im Erb-For&#x017F;te lu&#x017F;twandel¬<lb/>
ten, um eintra&#x0364;chtig mit Waldha&#x0364;mmern ihr Gna¬<lb/>
denholz einzupla&#x0364;tzen. Endlich ritt im Schritt<lb/>
Flitte an der Spitze einer holzer&#x017F;parenden Ge&#x017F;ell¬<lb/>
&#x017F;chaft mit Aexten, Sa&#x0364;gen, Maß&#x017F;ta&#x0364;ben in den<lb/>
Ha&#x0364;nden, den Wald hinan. Gleich einem Wittwer,<lb/>
der &#x017F;eine Halbtrauer ta&#x0364;glich in kleinere Bru&#x0364;che zer¬<lb/>
fa&#x0364;llt, in Drittelstrauer, in ein ¼, &#x215B;,  <formula notation="TeX">\frac{1}{64}</formula> Theil &#x2014;<lb/>
wiewohl die Trauer oder der Za&#x0364;hler nie null wer¬<lb/>
den kann, nach mathemati&#x017F;chen Ge&#x017F;etzen &#x2014; ver¬<lb/>
kehrte Walt bei die&#x017F;em Anblick &#x017F;eine &#x017F;chwache Halb¬<lb/>
trauer, arithmeti&#x017F;ch zu &#x017F;prechen, in einen unend¬<lb/>
lich großen Nenner und in einen unendlich kleinen<lb/>
Za&#x0364;hler, d. h. er wurde das, was man gemeinhin<lb/>
froh nennt. &#x201E;Es i&#x017F;t &#x017F;chon recht, dacht' er, daß<lb/>
ich dem guten Flitte fu&#x0364;r &#x017F;eine gutmu&#x0364;thige Erbein¬<lb/>
&#x017F;etzung meiner Per&#x017F;on, doch einen &#x017F;chwachen Dank<lb/>
durch meine Fehler zu&#x017F;chanze; er habe recht viele<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0028] ner friedlichen Anhoͤhe — dem Waͤldchen gegen¬ uͤber — konnt' er, waͤhrend er das mediziniſche Miſerere des Schickſals durch Dichten und Em¬ pfinden in ein muſikaliſches verwandelte, recht gut wahrnehmen, daß ſchon mehrere Erben mit ver¬ ſtaͤndigen Holzhauern im Erb-Forſte luſtwandel¬ ten, um eintraͤchtig mit Waldhaͤmmern ihr Gna¬ denholz einzuplaͤtzen. Endlich ritt im Schritt Flitte an der Spitze einer holzerſparenden Geſell¬ ſchaft mit Aexten, Saͤgen, Maßſtaͤben in den Haͤnden, den Wald hinan. Gleich einem Wittwer, der ſeine Halbtrauer taͤglich in kleinere Bruͤche zer¬ faͤllt, in Drittelstrauer, in ein ¼, ⅛, [FORMEL] Theil — wiewohl die Trauer oder der Zaͤhler nie null wer¬ den kann, nach mathematiſchen Geſetzen — ver¬ kehrte Walt bei dieſem Anblick ſeine ſchwache Halb¬ trauer, arithmetiſch zu ſprechen, in einen unend¬ lich großen Nenner und in einen unendlich kleinen Zaͤhler, d. h. er wurde das, was man gemeinhin froh nennt. „Es iſt ſchon recht, dacht' er, daß ich dem guten Flitte fuͤr ſeine gutmuͤthige Erbein¬ ſetzung meiner Perſon, doch einen ſchwachen Dank durch meine Fehler zuſchanze; er habe recht viele

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/28
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/28>, abgerufen am 29.03.2024.