Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

des Unmuths, die er neben der Flöte nicht trock¬
nen konnte, niemand zu zeigen, als der Nacht.
In der Nähe gab ihr Engelberta, auf das Schlaf¬
zimmer der Schwester und Walts Rinden-Ro¬
tunda winkende Zeichen, welchen sie zu folgen
glaubte, wenn sie sich in die Rotunda singend
verbarg, um da sich und ihr Frühlings-Lied von
der erwachenden Freundin finden zu lassen.

Sie fand den Notar mit dem Auge auf dem
Monde, mit dem Geiste in dem blauen Aether --
ihre näheren Töne und Vults fernere hatten ihn
berauscht, und außer sich und außer die Welt
gesetzt. Eigentlich versteht niemand als nur Gott
unsere Musik; wir machen sie, wie taubstumme
Schüler von Henecke Worte, und vernehmen sel¬
ber die Sprache nicht, die wir reden. Wina
mußte fortsingen, und die Anrede durch ein eng¬
lisches Anlächeln ersetzen.

Da er gleichfalls nichts sagen durfte, so lä¬
chelte er auch an, und sehr, und schwamm vor
ihr in Liebe und Wonne. Als sie nun die schöne
melodische Zeile sang: träumst du, wer dich
liebt? und sie so nahe an seiner Brust die heimli¬

Flegeljahre IV. Bd. 17

des Unmuths, die er neben der Floͤte nicht trock¬
nen konnte, niemand zu zeigen, als der Nacht.
In der Naͤhe gab ihr Engelberta, auf das Schlaf¬
zimmer der Schweſter und Walts Rinden-Ro¬
tunda winkende Zeichen, welchen ſie zu folgen
glaubte, wenn ſie ſich in die Rotunda ſingend
verbarg, um da ſich und ihr Fruͤhlings-Lied von
der erwachenden Freundin finden zu laſſen.

Sie fand den Notar mit dem Auge auf dem
Monde, mit dem Geiſte in dem blauen Aether —
ihre naͤheren Toͤne und Vults fernere hatten ihn
berauſcht, und außer ſich und außer die Welt
geſetzt. Eigentlich verſteht niemand als nur Gott
unſere Muſik; wir machen ſie, wie taubſtumme
Schuͤler von Henecke Worte, und vernehmen ſel¬
ber die Sprache nicht, die wir reden. Wina
mußte fortſingen, und die Anrede durch ein eng¬
liſches Anlaͤcheln erſetzen.

Da er gleichfalls nichts ſagen durfte, ſo laͤ¬
chelte er auch an, und ſehr, und ſchwamm vor
ihr in Liebe und Wonne. Als ſie nun die ſchoͤne
melodiſche Zeile ſang: traͤumſt du, wer dich
liebt? und ſie ſo nahe an ſeiner Bruſt die heimli¬

Flegeljahre IV. Bd. 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0263" n="257"/>
des Unmuths, die er neben der Flo&#x0364;te nicht trock¬<lb/>
nen konnte, niemand zu zeigen, als der Nacht.<lb/>
In der Na&#x0364;he gab ihr Engelberta, auf das Schlaf¬<lb/>
zimmer der Schwe&#x017F;ter und Walts Rinden-Ro¬<lb/>
tunda winkende Zeichen, welchen &#x017F;ie zu folgen<lb/>
glaubte, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich in die Rotunda &#x017F;ingend<lb/>
verbarg, um da &#x017F;ich und ihr Fru&#x0364;hlings-Lied von<lb/>
der erwachenden Freundin finden zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Sie fand den Notar mit dem Auge auf dem<lb/>
Monde, mit dem Gei&#x017F;te in dem blauen Aether &#x2014;<lb/>
ihre na&#x0364;heren To&#x0364;ne und Vults fernere hatten ihn<lb/>
berau&#x017F;cht, und außer &#x017F;ich und außer die Welt<lb/>
ge&#x017F;etzt. Eigentlich ver&#x017F;teht niemand als nur Gott<lb/>
un&#x017F;ere Mu&#x017F;ik; wir machen &#x017F;ie, wie taub&#x017F;tumme<lb/>
Schu&#x0364;ler von Henecke Worte, und vernehmen &#x017F;el¬<lb/>
ber die Sprache nicht, die wir reden. Wina<lb/>
mußte fort&#x017F;ingen, und die Anrede durch ein eng¬<lb/>
li&#x017F;ches Anla&#x0364;cheln er&#x017F;etzen.</p><lb/>
        <p>Da er gleichfalls nichts &#x017F;agen durfte, &#x017F;o la&#x0364;¬<lb/>
chelte er auch an, und &#x017F;ehr, und &#x017F;chwamm vor<lb/>
ihr in Liebe und Wonne. Als &#x017F;ie nun die &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
melodi&#x017F;che Zeile &#x017F;ang: tra&#x0364;um&#x017F;t du, wer dich<lb/>
liebt? und &#x017F;ie &#x017F;o nahe an &#x017F;einer Bru&#x017F;t die heimli¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Flegeljahre <hi rendition="#aq">IV</hi>. Bd. 17<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[257/0263] des Unmuths, die er neben der Floͤte nicht trock¬ nen konnte, niemand zu zeigen, als der Nacht. In der Naͤhe gab ihr Engelberta, auf das Schlaf¬ zimmer der Schweſter und Walts Rinden-Ro¬ tunda winkende Zeichen, welchen ſie zu folgen glaubte, wenn ſie ſich in die Rotunda ſingend verbarg, um da ſich und ihr Fruͤhlings-Lied von der erwachenden Freundin finden zu laſſen. Sie fand den Notar mit dem Auge auf dem Monde, mit dem Geiſte in dem blauen Aether — ihre naͤheren Toͤne und Vults fernere hatten ihn berauſcht, und außer ſich und außer die Welt geſetzt. Eigentlich verſteht niemand als nur Gott unſere Muſik; wir machen ſie, wie taubſtumme Schuͤler von Henecke Worte, und vernehmen ſel¬ ber die Sprache nicht, die wir reden. Wina mußte fortſingen, und die Anrede durch ein eng¬ liſches Anlaͤcheln erſetzen. Da er gleichfalls nichts ſagen durfte, ſo laͤ¬ chelte er auch an, und ſehr, und ſchwamm vor ihr in Liebe und Wonne. Als ſie nun die ſchoͤne melodiſche Zeile ſang: traͤumſt du, wer dich liebt? und ſie ſo nahe an ſeiner Bruſt die heimli¬ Flegeljahre IV. Bd. 17

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/263
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/263>, abgerufen am 25.11.2024.