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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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sich Freunde, die von Freuden-Gelagen herka¬
men, den Neujahrs-Gruß zu, in welchem alle
Morgen- und Abendgrüße eingewickelt liegen.
Auf dem Thurm-Geländer sah man die Anbläser
des Jahrs mit ihren Trommeten recht deutlich;
Walt dachte sich in ihre Höhe hinauf, und in die¬
ser kam es ihm vor, als sehe er das Jahr wie
eine ungeheure Wolke voll wirbelnder Gestal¬
ten am Horizont heraufziehen; und die Töne
nannten die Gestalten künftiger Stunden beim
Namen. Die Sterne standen als Morgensterne
des ewigen Morgens am Himmel, der keinen
Abend und Morgen kennt, aber die Menschen
schaueten hinauf, als gäb' es droben ihren eiligen
Wechsel, und ihre Stunden- und ihre Todten¬
glocken, und den deutschen Januar.

Unter diesen Gefühlen Gottwalts stand die
Geliebte als ein Heiligen-Bild, von Sternen ge¬
krönt, und der Himmels-Schein zeigte ihre
großen Augen heller, und ihre sanften Rosenlip¬
pen näher. Nicht wie sonst stellte ihm das alte
Jahr, das an der Geburt des neuen starb, das
Vergehen des Lebens dar; die Liebe verwandelt

ſich Freunde, die von Freuden-Gelagen herka¬
men, den Neujahrs-Gruß zu, in welchem alle
Morgen- und Abendgruͤße eingewickelt liegen.
Auf dem Thurm-Gelaͤnder ſah man die Anblaͤſer
des Jahrs mit ihren Trommeten recht deutlich;
Walt dachte ſich in ihre Hoͤhe hinauf, und in die¬
ſer kam es ihm vor, als ſehe er das Jahr wie
eine ungeheure Wolke voll wirbelnder Geſtal¬
ten am Horizont heraufziehen; und die Toͤne
nannten die Geſtalten kuͤnftiger Stunden beim
Namen. Die Sterne ſtanden als Morgenſterne
des ewigen Morgens am Himmel, der keinen
Abend und Morgen kennt, aber die Menſchen
ſchaueten hinauf, als gaͤb' es droben ihren eiligen
Wechſel, und ihre Stunden- und ihre Todten¬
glocken, und den deutſchen Januar.

Unter dieſen Gefuͤhlen Gottwalts ſtand die
Geliebte als ein Heiligen-Bild, von Sternen ge¬
kroͤnt, und der Himmels-Schein zeigte ihre
großen Augen heller, und ihre ſanften Roſenlip¬
pen naͤher. Nicht wie ſonſt ſtellte ihm das alte
Jahr, das an der Geburt des neuen ſtarb, das
Vergehen des Lebens dar; die Liebe verwandelt

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[249/0255] ſich Freunde, die von Freuden-Gelagen herka¬ men, den Neujahrs-Gruß zu, in welchem alle Morgen- und Abendgruͤße eingewickelt liegen. Auf dem Thurm-Gelaͤnder ſah man die Anblaͤſer des Jahrs mit ihren Trommeten recht deutlich; Walt dachte ſich in ihre Hoͤhe hinauf, und in die¬ ſer kam es ihm vor, als ſehe er das Jahr wie eine ungeheure Wolke voll wirbelnder Geſtal¬ ten am Horizont heraufziehen; und die Toͤne nannten die Geſtalten kuͤnftiger Stunden beim Namen. Die Sterne ſtanden als Morgenſterne des ewigen Morgens am Himmel, der keinen Abend und Morgen kennt, aber die Menſchen ſchaueten hinauf, als gaͤb' es droben ihren eiligen Wechſel, und ihre Stunden- und ihre Todten¬ glocken, und den deutſchen Januar. Unter dieſen Gefuͤhlen Gottwalts ſtand die Geliebte als ein Heiligen-Bild, von Sternen ge¬ kroͤnt, und der Himmels-Schein zeigte ihre großen Augen heller, und ihre ſanften Roſenlip¬ pen naͤher. Nicht wie ſonſt ſtellte ihm das alte Jahr, das an der Geburt des neuen ſtarb, das Vergehen des Lebens dar; die Liebe verwandelt

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/255>, abgerufen am 22.05.2024.