Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

und noch häuslicher zu bleiben. Ich freute mich
auf das ungewöhnliche Allein-Essen und auf den
Vater mit seinen Sachen aus der Stadt. Ein
ganzer Wolkenhimmel von Schneeflocken wirbelte
herunter, und wir Schüler sahen es gern, daß wir
kaum mehr die kleine Bibel lesen konnten, in der
ohnehin dunkeln traulichen Schulstube.

Draußen nun sprang jeder in neu gefallnen
Schnee sehr lustig mit den lange müßigen Glied¬
massen. Du warfst deine Bücher ins Haus und
bliebst weg bis zum Gebetläuten; denn die Mut¬
ter erlaubte dir das Austoben am meisten in Abseyn
des Vaters. Ich folgte dir selten. Der Himmel
weiß, warum ich stets kindischer, ausgelassener,
hüpfender, unbeholfen-eckiger war, als du --
ich machte meine Kinds- oder Narrenstreiche allein,
du machtest deine als Befehlshaber fremder mit."

"Ich war zum Geschäftsmann geboren,
Walt!"

"Aber in der Vesper las ich lieber. Ich hatte
erstlich meinen orbus pictus, der, wie eine Iliade,
das Menschen-Treiben auseinander blätterte. Ich
hatte auf dem Gesimse auch viele Beschreibungen,

und noch haͤuslicher zu bleiben. Ich freute mich
auf das ungewoͤhnliche Allein-Eſſen und auf den
Vater mit ſeinen Sachen aus der Stadt. Ein
ganzer Wolkenhimmel von Schneeflocken wirbelte
herunter, und wir Schuͤler ſahen es gern, daß wir
kaum mehr die kleine Bibel leſen konnten, in der
ohnehin dunkeln traulichen Schulſtube.

Draußen nun ſprang jeder in neu gefallnen
Schnee ſehr luſtig mit den lange muͤßigen Glied¬
maſſen. Du warfſt deine Buͤcher ins Haus und
bliebſt weg bis zum Gebetlaͤuten; denn die Mut¬
ter erlaubte dir das Austoben am meiſten in Abſeyn
des Vaters. Ich folgte dir ſelten. Der Himmel
weiß, warum ich ſtets kindiſcher, ausgelaſſener,
huͤpfender, unbeholfen-eckiger war, als du —
ich machte meine Kinds- oder Narrenſtreiche allein,
du machteſt deine als Befehlshaber fremder mit.“

„Ich war zum Geſchaͤftsmann geboren,
Walt!“

„Aber in der Veſper las ich lieber. Ich hatte
erſtlich meinen orbus pictus, der, wie eine Iliade,
das Menſchen-Treiben auseinander blaͤtterte. Ich
hatte auf dem Geſimſe auch viele Beſchreibungen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="175"/>
und noch ha&#x0364;uslicher zu bleiben. Ich freute mich<lb/>
auf das ungewo&#x0364;hnliche Allein-E&#x017F;&#x017F;en und auf den<lb/>
Vater mit &#x017F;einen Sachen aus der Stadt. Ein<lb/>
ganzer Wolkenhimmel von Schneeflocken wirbelte<lb/>
herunter, und wir Schu&#x0364;ler &#x017F;ahen es gern, daß wir<lb/>
kaum mehr die kleine Bibel le&#x017F;en konnten, in der<lb/>
ohnehin dunkeln traulichen Schul&#x017F;tube.</p><lb/>
        <p>Draußen nun &#x017F;prang jeder in neu gefallnen<lb/>
Schnee &#x017F;ehr lu&#x017F;tig mit den lange mu&#x0364;ßigen Glied¬<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;en. Du warf&#x017F;t deine Bu&#x0364;cher ins Haus und<lb/>
blieb&#x017F;t weg bis zum Gebetla&#x0364;uten; denn die Mut¬<lb/>
ter erlaubte dir das Austoben am mei&#x017F;ten in Ab&#x017F;eyn<lb/>
des Vaters. Ich folgte dir &#x017F;elten. Der Himmel<lb/>
weiß, warum ich &#x017F;tets kindi&#x017F;cher, ausgela&#x017F;&#x017F;ener,<lb/>
hu&#x0364;pfender, unbeholfen-eckiger war, als du &#x2014;<lb/>
ich machte meine Kinds- oder Narren&#x017F;treiche allein,<lb/>
du machte&#x017F;t deine als Befehlshaber fremder mit.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich war zum Ge&#x017F;cha&#x0364;ftsmann geboren,<lb/>
Walt!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber in der Ve&#x017F;per las ich lieber. Ich hatte<lb/>
er&#x017F;tlich meinen <hi rendition="#aq">orbus pictus</hi>, der, wie eine Iliade,<lb/>
das Men&#x017F;chen-Treiben auseinander bla&#x0364;tterte. Ich<lb/>
hatte auf dem Ge&#x017F;im&#x017F;e auch viele Be&#x017F;chreibungen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0181] und noch haͤuslicher zu bleiben. Ich freute mich auf das ungewoͤhnliche Allein-Eſſen und auf den Vater mit ſeinen Sachen aus der Stadt. Ein ganzer Wolkenhimmel von Schneeflocken wirbelte herunter, und wir Schuͤler ſahen es gern, daß wir kaum mehr die kleine Bibel leſen konnten, in der ohnehin dunkeln traulichen Schulſtube. Draußen nun ſprang jeder in neu gefallnen Schnee ſehr luſtig mit den lange muͤßigen Glied¬ maſſen. Du warfſt deine Buͤcher ins Haus und bliebſt weg bis zum Gebetlaͤuten; denn die Mut¬ ter erlaubte dir das Austoben am meiſten in Abſeyn des Vaters. Ich folgte dir ſelten. Der Himmel weiß, warum ich ſtets kindiſcher, ausgelaſſener, huͤpfender, unbeholfen-eckiger war, als du — ich machte meine Kinds- oder Narrenſtreiche allein, du machteſt deine als Befehlshaber fremder mit.“ „Ich war zum Geſchaͤftsmann geboren, Walt!“ „Aber in der Veſper las ich lieber. Ich hatte erſtlich meinen orbus pictus, der, wie eine Iliade, das Menſchen-Treiben auseinander blaͤtterte. Ich hatte auf dem Geſimſe auch viele Beſchreibungen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/181
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/181>, abgerufen am 23.11.2024.