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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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cier alles, was er hat und was er ist, seinen
geschriebenen Leuten ohne das geringste Ansehen
der Person und des Karakters! Folglich hätte
wohl niemand Vults Tagebuch so gern umge¬
ackert und besäet als ich, wär' es nöthig gewesen.

Andere Gründe, z. B. Zeitmangel und Haus-
Tumult schütz' ich nicht einmal vor, weil diese
sich auf persönliche Vertrauungen gründen, wo¬
mit man wohl schicklicher das Publikum, als ei¬
nen verehrlichen Stadtrath, behelligt; worunter
aber in jedem Falle die Nachricht gehören würde,
daß ich gestern nach meinem Wechselfieber des
Wechsels -- doch nur mit Städten -- wieder aus
Koburg abgezogen bin nach Bayreuth. Niemand
muß überhaupt die Zeit mehr sparen als einer,
der für die Ewigkeit nicht so wohl lebt -- das
thut jeder Christ -- als schreibt. Wie viel Blatt¬
seiten lässet denn die Biographia britannica un¬
seres Ichs der Historiole des Universums übrig?
-- Wie ohnehin alles uns Dichter drückt, schei¬
nen nur die alten Holzschnittschneider zu ahnen,
wenn sie Bienen und Vögel -- diese bildlichen
Verwandten unsers Honigs und unsers Flugs --

cier alles, was er hat und was er iſt, ſeinen
geſchriebenen Leuten ohne das geringſte Anſehen
der Perſon und des Karakters! Folglich haͤtte
wohl niemand Vults Tagebuch ſo gern umge¬
ackert und beſaͤet als ich, waͤr' es noͤthig geweſen.

Andere Gruͤnde, z. B. Zeitmangel und Haus-
Tumult ſchuͤtz' ich nicht einmal vor, weil dieſe
ſich auf perſoͤnliche Vertrauungen gruͤnden, wo¬
mit man wohl ſchicklicher das Publikum, als ei¬
nen verehrlichen Stadtrath, behelligt; worunter
aber in jedem Falle die Nachricht gehoͤren wuͤrde,
daß ich geſtern nach meinem Wechſelfieber des
Wechſels — doch nur mit Staͤdten — wieder aus
Koburg abgezogen bin nach Bayreuth. Niemand
muß uͤberhaupt die Zeit mehr ſparen als einer,
der fuͤr die Ewigkeit nicht ſo wohl lebt — das
thut jeder Chriſt — als ſchreibt. Wie viel Blatt¬
ſeiten laͤſſet denn die Biographia britannica un¬
ſeres Ichs der Hiſtoriole des Univerſums uͤbrig?
— Wie ohnehin alles uns Dichter druͤckt, ſchei¬
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[125/0131] cier alles, was er hat und was er iſt, ſeinen geſchriebenen Leuten ohne das geringſte Anſehen der Perſon und des Karakters! Folglich haͤtte wohl niemand Vults Tagebuch ſo gern umge¬ ackert und beſaͤet als ich, waͤr' es noͤthig geweſen. Andere Gruͤnde, z. B. Zeitmangel und Haus- Tumult ſchuͤtz' ich nicht einmal vor, weil dieſe ſich auf perſoͤnliche Vertrauungen gruͤnden, wo¬ mit man wohl ſchicklicher das Publikum, als ei¬ nen verehrlichen Stadtrath, behelligt; worunter aber in jedem Falle die Nachricht gehoͤren wuͤrde, daß ich geſtern nach meinem Wechſelfieber des Wechſels — doch nur mit Staͤdten — wieder aus Koburg abgezogen bin nach Bayreuth. Niemand muß uͤberhaupt die Zeit mehr ſparen als einer, der fuͤr die Ewigkeit nicht ſo wohl lebt — das thut jeder Chriſt — als ſchreibt. Wie viel Blatt¬ ſeiten laͤſſet denn die Biographia britannica un¬ ſeres Ichs der Hiſtoriole des Univerſums uͤbrig? — Wie ohnehin alles uns Dichter druͤckt, ſchei¬ nen nur die alten Holzſchnittſchneider zu ahnen, wenn ſie Bienen und Voͤgel — dieſe bildlichen Verwandten unſers Honigs und unſers Flugs —

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/131>, abgerufen am 23.11.2024.