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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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mel stieg, herabgezogen auf die Stufen, um noch
einmal auf der Erde zu beten, so heilig-schön
sah er das Mädgen liegen. Er hielt es für
Sünde, fünf Schritte weiter vorzutreten und der
Beterin gerade ins fromme Angesicht zu sehen,
obgleich diese fünf Schritte ihn fünf goldne
Sprossen auf der Himmelsleiter höher gebracht
hätten. Zulezt zwang ihn sein Gewissen, gar
selber -- wiewohl er protestantisch dachte -- hin¬
ter den stillen Gebeten einige eigne leichte zu ver¬
richten; die Hände waren schon längst gehörig
gefaltet gewesen, eh' er nur darauf gedacht, etwas
dazu zu beten.

Es ist aber zu glauben, daß in der Welt
hinter den Sternen, die gewiß ihre eignen, ganz
sonderbaren Begriffe von Andacht hat, schon
das unwillkührliche Händefalten selber für ein
gutes Gebet gegolten, wie denn mancher hiesige
Handdruk und Lippendruk, ja mancher Fluch
droben für ein Stos- und Schusgebet kursiren
mag; indeß zu gleicher Zeit den größten Kirchen¬
lichtern hienieden die Gebete, die sie für den
Druck und Verlag ohne alle Selbst-Rücksichten
blos für fremde Bedürfnisse mit beständiger Hin¬

mel ſtieg, herabgezogen auf die Stufen, um noch
einmal auf der Erde zu beten, ſo heilig-ſchoͤn
ſah er das Maͤdgen liegen. Er hielt es fuͤr
Suͤnde, fuͤnf Schritte weiter vorzutreten und der
Beterin gerade ins fromme Angeſicht zu ſehen,
obgleich dieſe fuͤnf Schritte ihn fuͤnf goldne
Sproſſen auf der Himmelsleiter hoͤher gebracht
haͤtten. Zulezt zwang ihn ſein Gewiſſen, gar
ſelber — wiewohl er proteſtantiſch dachte — hin¬
ter den ſtillen Gebeten einige eigne leichte zu ver¬
richten; die Haͤnde waren ſchon laͤngſt gehoͤrig
gefaltet geweſen, eh' er nur darauf gedacht, etwas
dazu zu beten.

Es iſt aber zu glauben, daß in der Welt
hinter den Sternen, die gewiß ihre eignen, ganz
ſonderbaren Begriffe von Andacht hat, ſchon
das unwillkuͤhrliche Haͤndefalten ſelber fuͤr ein
gutes Gebet gegolten, wie denn mancher hieſige
Handdruk und Lippendruk, ja mancher Fluch
droben fuͤr ein Stos- und Schusgebet kurſiren
mag; indeß zu gleicher Zeit den groͤßten Kirchen¬
lichtern hienieden die Gebete, die ſie fuͤr den
Druck und Verlag ohne alle Selbſt-Ruͤckſichten
blos fuͤr fremde Beduͤrfniſſe mit beſtaͤndiger Hin¬

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[34/0042] mel ſtieg, herabgezogen auf die Stufen, um noch einmal auf der Erde zu beten, ſo heilig-ſchoͤn ſah er das Maͤdgen liegen. Er hielt es fuͤr Suͤnde, fuͤnf Schritte weiter vorzutreten und der Beterin gerade ins fromme Angeſicht zu ſehen, obgleich dieſe fuͤnf Schritte ihn fuͤnf goldne Sproſſen auf der Himmelsleiter hoͤher gebracht haͤtten. Zulezt zwang ihn ſein Gewiſſen, gar ſelber — wiewohl er proteſtantiſch dachte — hin¬ ter den ſtillen Gebeten einige eigne leichte zu ver¬ richten; die Haͤnde waren ſchon laͤngſt gehoͤrig gefaltet geweſen, eh' er nur darauf gedacht, etwas dazu zu beten. Es iſt aber zu glauben, daß in der Welt hinter den Sternen, die gewiß ihre eignen, ganz ſonderbaren Begriffe von Andacht hat, ſchon das unwillkuͤhrliche Haͤndefalten ſelber fuͤr ein gutes Gebet gegolten, wie denn mancher hieſige Handdruk und Lippendruk, ja mancher Fluch droben fuͤr ein Stos- und Schusgebet kurſiren mag; indeß zu gleicher Zeit den groͤßten Kirchen¬ lichtern hienieden die Gebete, die ſie fuͤr den Druck und Verlag ohne alle Selbſt-Ruͤckſichten blos fuͤr fremde Beduͤrfniſſe mit beſtaͤndiger Hin¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/42>, abgerufen am 24.04.2024.