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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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Zucker-Eiland nach dem andern aus dem Back¬
ofen auf der Schaufel behutsam heraus holte: --
"O ich bin so glücklich!" dacht' er und sah nach,
ob man keine Armenbüchse an die Papiertapeten
geschraubt, weil er in keinem Wirthshause ver¬
gaß, in diese Stimm-Rize unbekannter Klag¬
stimmen, so viel er konnte, zu legen; aber das
Zimmer war zu nett zu Wohlthaten.

Es wurde sehr dunkel. Der frühe Herbst¬
mond stand schon als ein halbes Silber-Diadem
auf einem Gebirgshaupt. Der Kellner kam mit
Licht, Walt sagte: ich brauche keines, ich esse
bei dem Hr. General. Er wollte das Stuben¬
lange Mondlicht behalten. An der Fensterwand
wurde ihm endlich dadurch eine und die andere
Reise-Sentenz von frühern Passagieren erleuch¬
tet. Er laß die ganze Wand durch, nicht ohne
Zufriedenheit mit den jugendlichen Sentenzen,
welche sämmtlich Liebe und Freundschaft und
Erden-Verachtung mit der Bleifeder anpriesen.
-- "Ich weiß so gut als jemand -- schreibt er
im Tagebuch -- daß es fast lächerlich, wenn
nicht gar unbillig ist, sich an fremde Zimmer¬

Zucker-Eiland nach dem andern aus dem Back¬
ofen auf der Schaufel behutſam heraus holte: —
„O ich bin ſo gluͤcklich!“ dacht' er und ſah nach,
ob man keine Armenbuͤchſe an die Papiertapeten
geſchraubt, weil er in keinem Wirthshauſe ver¬
gaß, in dieſe Stimm-Rize unbekannter Klag¬
ſtimmen, ſo viel er konnte, zu legen; aber das
Zimmer war zu nett zu Wohlthaten.

Es wurde ſehr dunkel. Der fruͤhe Herbſt¬
mond ſtand ſchon als ein halbes Silber-Diadem
auf einem Gebirgshaupt. Der Kellner kam mit
Licht, Walt ſagte: ich brauche keines, ich eſſe
bei dem Hr. General. Er wollte das Stuben¬
lange Mondlicht behalten. An der Fenſterwand
wurde ihm endlich dadurch eine und die andere
Reiſe-Sentenz von fruͤhern Paſſagieren erleuch¬
tet. Er laß die ganze Wand durch, nicht ohne
Zufriedenheit mit den jugendlichen Sentenzen,
welche ſaͤmmtlich Liebe und Freundſchaft und
Erden-Verachtung mit der Bleifeder anprieſen.
— „Ich weiß ſo gut als jemand — ſchreibt er
im Tagebuch — daß es faſt laͤcherlich, wenn
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[170/0178] Zucker-Eiland nach dem andern aus dem Back¬ ofen auf der Schaufel behutſam heraus holte: — „O ich bin ſo gluͤcklich!“ dacht' er und ſah nach, ob man keine Armenbuͤchſe an die Papiertapeten geſchraubt, weil er in keinem Wirthshauſe ver¬ gaß, in dieſe Stimm-Rize unbekannter Klag¬ ſtimmen, ſo viel er konnte, zu legen; aber das Zimmer war zu nett zu Wohlthaten. Es wurde ſehr dunkel. Der fruͤhe Herbſt¬ mond ſtand ſchon als ein halbes Silber-Diadem auf einem Gebirgshaupt. Der Kellner kam mit Licht, Walt ſagte: ich brauche keines, ich eſſe bei dem Hr. General. Er wollte das Stuben¬ lange Mondlicht behalten. An der Fenſterwand wurde ihm endlich dadurch eine und die andere Reiſe-Sentenz von fruͤhern Paſſagieren erleuch¬ tet. Er laß die ganze Wand durch, nicht ohne Zufriedenheit mit den jugendlichen Sentenzen, welche ſaͤmmtlich Liebe und Freundſchaft und Erden-Verachtung mit der Bleifeder anprieſen. — „Ich weiß ſo gut als jemand — ſchreibt er im Tagebuch — daß es faſt laͤcherlich, wenn nicht gar unbillig iſt, ſich an fremde Zimmer¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/178>, abgerufen am 24.11.2024.