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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804.

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pfeif' Euch etwas. Dem weich' ich jetzt ganz
aus."

Walt versezte: "ich will deinem halben
Ernste ganz offen antworten. Ein Dichter, für
den es eigentlich gar keine gesperrten Stände
giebt, und welchem sich alle öfnen sollten, darf
wohl, denk' ich, die Höhen suchen, wiewohl
nicht, um da zu nisten, sondern den Bienen
gleich, welche eben so wohl auf die höchsten Blü¬
then fliegen, als auf die niedrigsten Blumen.
Die höhern Stände, welche nahe um das sonni¬
ge Zenith des Staates leuchten, als hohe Stern¬
bilder, sind selber schon für die Poesie durch ei¬
ne Poesie aus der schweren tiefen Wirklichkeit
entrückt. Welch' eine schöne freie Stellung des
Lebens! Wär' es auch nur Einbildung, daß sie
sich für erhoben hielten, und das zwar geistig --
denn jeder Mensch, der Reiche, der Glückliche
ruht nicht eher als bis er aus seinem Glück sich
ein geistiges Verdienst gemacht --: so würde
dieser Wahn Wahrheit werden; wer sich achtet,
den muß man achten. W[ - 1 Zeichen fehlt]ch' eine hohe Stel¬
lung, alle mit einerlei Freiheit, alles zu wer¬

pfeif' Euch etwas. Dem weich' ich jetzt ganz
aus.“

Walt verſezte: „ich will deinem halben
Ernſte ganz offen antworten. Ein Dichter, fuͤr
den es eigentlich gar keine geſperrten Staͤnde
giebt, und welchem ſich alle oͤfnen ſollten, darf
wohl, denk' ich, die Hoͤhen ſuchen, wiewohl
nicht, um da zu niſten, ſondern den Bienen
gleich, welche eben ſo wohl auf die hoͤchſten Bluͤ¬
then fliegen, als auf die niedrigſten Blumen.
Die hoͤhern Staͤnde, welche nahe um das ſonni¬
ge Zenith des Staates leuchten, als hohe Stern¬
bilder, ſind ſelber ſchon fuͤr die Poeſie durch ei¬
ne Poeſie aus der ſchweren tiefen Wirklichkeit
entruͤckt. Welch' eine ſchoͤne freie Stellung des
Lebens! Waͤr' es auch nur Einbildung, daß ſie
ſich fuͤr erhoben hielten, und das zwar geiſtig —
denn jeder Menſch, der Reiche, der Gluͤckliche
ruht nicht eher als bis er aus ſeinem Gluͤck ſich
ein geiſtiges Verdienſt gemacht —: ſo wuͤrde
dieſer Wahn Wahrheit werden; wer ſich achtet,
den muß man achten. W[ – 1 Zeichen fehlt]ch' eine hohe Stel¬
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[190/0198] pfeif' Euch etwas. Dem weich' ich jetzt ganz aus.“ Walt verſezte: „ich will deinem halben Ernſte ganz offen antworten. Ein Dichter, fuͤr den es eigentlich gar keine geſperrten Staͤnde giebt, und welchem ſich alle oͤfnen ſollten, darf wohl, denk' ich, die Hoͤhen ſuchen, wiewohl nicht, um da zu niſten, ſondern den Bienen gleich, welche eben ſo wohl auf die hoͤchſten Bluͤ¬ then fliegen, als auf die niedrigſten Blumen. Die hoͤhern Staͤnde, welche nahe um das ſonni¬ ge Zenith des Staates leuchten, als hohe Stern¬ bilder, ſind ſelber ſchon fuͤr die Poeſie durch ei¬ ne Poeſie aus der ſchweren tiefen Wirklichkeit entruͤckt. Welch' eine ſchoͤne freie Stellung des Lebens! Waͤr' es auch nur Einbildung, daß ſie ſich fuͤr erhoben hielten, und das zwar geiſtig — denn jeder Menſch, der Reiche, der Gluͤckliche ruht nicht eher als bis er aus ſeinem Gluͤck ſich ein geiſtiges Verdienſt gemacht —: ſo wuͤrde dieſer Wahn Wahrheit werden; wer ſich achtet, den muß man achten. W_ch' eine hohe Stel¬ lung, alle mit einerlei Freiheit, alles zu wer¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 2. Tübingen, 1804, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre02_1804/198>, abgerufen am 22.11.2024.