Der Frühprediger Flachs sah aus wie ein rei¬ tender Betteljude, mit welchem ein Hengst durch¬ geht; indes hätt' er mit seinem Herzen, das durch Haus- und Kirchenjammer schon die besten schwül¬ sten Wolken um sich hatte, leicht wie eine Sonne vor elendem Wetter auf der Stelle das nöthigste Wasser aufgezogen, wär' ihm nur nicht das her¬ schiffende Flös- Haus immer dazwischen gekom¬ men als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm.
Der Kirchenrath, der seine Natur kannte aus Neujahrs- und Leichenpredigten, und der gewis wußte, daß er sich selber zuerst erweiche, sobald er nur an andere Erweichungs- Reden halte, stand auf -- da er sich und andere so lang am Trockenseile hängen sah -- und sagte mit Wür¬ de, jeder, der seine gedrukten Werke gelesen, wisse gewis, daß er ein Herz im Busen trage, das so heilige Zeichen, wie Thränen sind, eher zurük zu drängen, um keinem Nebenmenschen damit etwas zu entziehen, als mühsam hervorzureizen nöthig habe aus Nebenabsichten -- "Dies Herz hat sie schon vergossen, aber heimlich, denn Kabel war ja mein Freund" sagt' er und sah umher.
Der Fruͤhprediger Flachs ſah aus wie ein rei¬ tender Betteljude, mit welchem ein Hengſt durch¬ geht; indes haͤtt' er mit ſeinem Herzen, das durch Haus- und Kirchenjammer ſchon die beſten ſchwuͤl¬ ſten Wolken um ſich hatte, leicht wie eine Sonne vor elendem Wetter auf der Stelle das noͤthigſte Waſſer aufgezogen, waͤr' ihm nur nicht das her¬ ſchiffende Floͤs- Haus immer dazwiſchen gekom¬ men als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm.
Der Kirchenrath, der ſeine Natur kannte aus Neujahrs- und Leichenpredigten, und der gewis wußte, daß er ſich ſelber zuerſt erweiche, ſobald er nur an andere Erweichungs- Reden halte, ſtand auf — da er ſich und andere ſo lang am Trockenſeile haͤngen ſah — und ſagte mit Wuͤr¬ de, jeder, der ſeine gedrukten Werke geleſen, wiſſe gewis, daß er ein Herz im Buſen trage, das ſo heilige Zeichen, wie Thraͤnen ſind, eher zuruͤk zu draͤngen, um keinem Nebenmenſchen damit etwas zu entziehen, als muͤhſam hervorzureizen noͤthig habe aus Nebenabſichten — „Dies Herz hat ſie ſchon vergoſſen, aber heimlich, denn Kabel war ja mein Freund“ ſagt' er und ſah umher.
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Der Fruͤhprediger Flachs ſah aus wie ein rei¬
tender Betteljude, mit welchem ein Hengſt durch¬
geht; indes haͤtt' er mit ſeinem Herzen, das durch
Haus- und Kirchenjammer ſchon die beſten ſchwuͤl¬
ſten Wolken um ſich hatte, leicht wie eine Sonne
vor elendem Wetter auf der Stelle das noͤthigſte
Waſſer aufgezogen, waͤr' ihm nur nicht das her¬
ſchiffende Floͤs- Haus immer dazwiſchen gekom¬
men als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm.
Der Kirchenrath, der ſeine Natur kannte aus
Neujahrs- und Leichenpredigten, und der gewis
wußte, daß er ſich ſelber zuerſt erweiche, ſobald
er nur an andere Erweichungs- Reden halte,
ſtand auf — da er ſich und andere ſo lang am
Trockenſeile haͤngen ſah — und ſagte mit Wuͤr¬
de, jeder, der ſeine gedrukten Werke geleſen, wiſſe
gewis, daß er ein Herz im Buſen trage, das ſo
heilige Zeichen, wie Thraͤnen ſind, eher zuruͤk zu
draͤngen, um keinem Nebenmenſchen damit etwas
zu entziehen, als muͤhſam hervorzureizen noͤthig
habe aus Nebenabſichten — „Dies Herz hat ſie
ſchon vergoſſen, aber heimlich, denn Kabel war
ja mein Freund“ ſagt' er und ſah umher.
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/21>, abgerufen am 07.07.2024.
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