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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804.

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vom Wolfischen Homer unterscheidet, an dem
so viele Homeriden schreiben und vielleicht Homer
selber." --

"Genug, genug rief Walt. Betrachte lie¬
ber den himmlischen Abend um uns her!" In
der That blühten Lust und Lebens-Lob in allen
Augen. Mehrere Gäste, die schon abgegessen,
tranken ihren Krug im Freien, alle Stände stan¬
den untereinander, die Autoren mitten im tiers¬
etat
. Die Fledermäuse schossen als Tropikvö¬
gel eines schönen Morgens um die Köpfe. An
einer Rosen-Staude krochen die Funken der Jo¬
hanniswürmlein. Die fernen Dorfglocken riefen
wie schöne verhallende Zeiten herüber und ins
dunkle Hirtengeschrei auf den Feldern hinein.
Man brauchte so spät auf allen Wegen, nicht
einmal in dem Gehölze, Lichter, und man konn¬
te bei dem Schein der Abendröthe die hellen Köpfe
deutlich durch das hohe Getraide waten sehen.
Die Dämmerung lagerte sich weit und breit nach
Westen hinein, mit der scharfen Mond-Krone von
Silber auf dem Kopfe; nur hinter dem Hause schlich
sich, aber ungesehen, die große hohle Nacht aus

vom Wolfiſchen Homer unterſcheidet, an dem
ſo viele Homeriden ſchreiben und vielleicht Homer
ſelber.” —

„Genug, genug rief Walt. Betrachte lie¬
ber den himmliſchen Abend um uns her!” In
der That bluͤhten Luſt und Lebens-Lob in allen
Augen. Mehrere Gaͤſte, die ſchon abgegeſſen,
tranken ihren Krug im Freien, alle Staͤnde ſtan¬
den untereinander, die Autoren mitten im tièrs¬
état
. Die Fledermaͤuſe ſchoſſen als Tropikvoͤ¬
gel eines ſchoͤnen Morgens um die Koͤpfe. An
einer Roſen-Staude krochen die Funken der Jo¬
hanniswuͤrmlein. Die fernen Dorfglocken riefen
wie ſchoͤne verhallende Zeiten heruͤber und ins
dunkle Hirtengeſchrei auf den Feldern hinein.
Man brauchte ſo ſpaͤt auf allen Wegen, nicht
einmal in dem Gehoͤlze, Lichter, und man konn¬
te bei dem Schein der Abendroͤthe die hellen Koͤpfe
deutlich durch das hohe Getraide waten ſehen.
Die Daͤmmerung lagerte ſich weit und breit nach
Weſten hinein, mit der ſcharfen Mond-Krone von
Silber auf dem Kopfe; nur hinter dem Hauſe ſchlich
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[173/0183] vom Wolfiſchen Homer unterſcheidet, an dem ſo viele Homeriden ſchreiben und vielleicht Homer ſelber.” — „Genug, genug rief Walt. Betrachte lie¬ ber den himmliſchen Abend um uns her!” In der That bluͤhten Luſt und Lebens-Lob in allen Augen. Mehrere Gaͤſte, die ſchon abgegeſſen, tranken ihren Krug im Freien, alle Staͤnde ſtan¬ den untereinander, die Autoren mitten im tièrs¬ état. Die Fledermaͤuſe ſchoſſen als Tropikvoͤ¬ gel eines ſchoͤnen Morgens um die Koͤpfe. An einer Roſen-Staude krochen die Funken der Jo¬ hanniswuͤrmlein. Die fernen Dorfglocken riefen wie ſchoͤne verhallende Zeiten heruͤber und ins dunkle Hirtengeſchrei auf den Feldern hinein. Man brauchte ſo ſpaͤt auf allen Wegen, nicht einmal in dem Gehoͤlze, Lichter, und man konn¬ te bei dem Schein der Abendroͤthe die hellen Koͤpfe deutlich durch das hohe Getraide waten ſehen. Die Daͤmmerung lagerte ſich weit und breit nach Weſten hinein, mit der ſcharfen Mond-Krone von Silber auf dem Kopfe; nur hinter dem Hauſe ſchlich ſich, aber ungeſehen, die große hohle Nacht aus

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 1. Tübingen, 1804, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre01_1804/183>, abgerufen am 27.11.2024.