Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].wieder vor die Augen gekommen ist: Roma senza sole e Roma senz' ombra. Ein Jesuit des 17. Jahrhunderts soll darin eine Anweisung geben, wie man im Sommer durch ganz Rom im Schatten gehn könne, und im Winter in der Sonne. Alle meine Nachforschungen in Roms Bibliotheken waren vergeblich; jedermann kannte das Buch, aber niemand hatte es gesehn. Nach und nach bin ich fast zu der Ueberzeugung gekonunen, daß es nicht existirt, und daß Kohlrausch davon auch nur, als von einem litterarischen Curiosum erzählt habe. Noch immer stehe ich vor dem Räthsel, wie ein nirgend aufzufindendes Werk in so vieler Bibliophilen Mund hat kommen können. Von großem pharmakologischen Interesse war die Samlung aller Arten von Chinarinde, die Alexander von Humboldt in Südamerika zusammengebracht, und in Paris an Kohlrausch geschenkt hatte, weil er diese Medicamente bei einem Arzte für am besten aufgehoben hielt. Sie füllten einen eignen kleinen Schrank, und sind jetzt, so viel ich weiß, den medizinischen Samlungen der Berliner Universität einverleibt. Unter allen diesen Schätzen waltete Tante Jettchen als fleißige Hausfrau. Sie wachte mit ängstlicher Sorgfalt für die Erhaltung und Reinigung der Marmorsachen und Gypse, sie ordnete nach und nach die Kupferstiche, sie schrieb die fehlenden Titel auf die Bücherrücken. Daneben führte sie die Bechnungen über Einnahme und Ausgabe in musterhafter Weise, war täglich in der Küche anzutreffen, und nähte für ihren Mann die feinsten Battisthemden. Die Gesellschaft in ihrem Hause bestand meist aus Künstlern und solchen Staatsbeamten, die an der Kunst Gefallen fanden. Kohlrausch hatte sich einen Apparat zur nächt- wieder vor die Augen gekommen ist: Roma senza sole e Roma senz’ ombra. Ein Jesuit des 17. Jahrhunderts soll darin eine Anweisung geben, wie man im Sommer durch ganz Rom im Schatten gehn könne, und im Winter in der Sonne. Alle meine Nachforschungen in Roms Bibliotheken waren vergeblich; jedermann kannte das Buch, aber niemand hatte es gesehn. Nach und nach bin ich fast zu der Ueberzeugung gekonunen, daß es nicht existirt, und daß Kohlrausch davon auch nur, als von einem litterarischen Curiosum erzählt habe. Noch immer stehe ich vor dem Räthsel, wie ein nirgend aufzufindendes Werk in so vieler Bibliophilen Mund hat kommen können. Von großem pharmakologischen Interesse war die Samlung aller Arten von Chinarinde, die Alexander von Humboldt in Südamerika zusammengebracht, und in Paris an Kohlrausch geschenkt hatte, weil er diese Medicamente bei einem Arzte für am besten aufgehoben hielt. Sie füllten einen eignen kleinen Schrank, und sind jetzt, so viel ich weiß, den medizinischen Samlungen der Berliner Universität einverleibt. Unter allen diesen Schätzen waltete Tante Jettchen als fleißige Hausfrau. Sie wachte mit ängstlicher Sorgfalt für die Erhaltung und Reinigung der Marmorsachen und Gypse, sie ordnete nach und nach die Kupferstiche, sie schrieb die fehlenden Titel auf die Bücherrücken. Daneben führte sie die Bechnungen über Einnahme und Ausgabe in musterhafter Weise, war täglich in der Küche anzutreffen, und nähte für ihren Mann die feinsten Battisthemden. Die Gesellschaft in ihrem Hause bestand meist aus Künstlern und solchen Staatsbeamten, die an der Kunst Gefallen fanden. Kohlrausch hatte sich einen Apparat zur nächt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086" n="78"/> wieder vor die Augen gekommen ist: Roma senza sole e Roma senz’ ombra. Ein Jesuit des 17. Jahrhunderts soll darin eine Anweisung geben, wie man im Sommer durch ganz Rom im Schatten gehn könne, und im Winter in der Sonne. Alle meine Nachforschungen in Roms Bibliotheken waren vergeblich; jedermann kannte das Buch, aber niemand hatte es gesehn. Nach und nach bin ich fast zu der Ueberzeugung gekonunen, daß es nicht existirt, und daß Kohlrausch davon auch nur, als von einem litterarischen Curiosum erzählt habe. Noch immer stehe ich vor dem Räthsel, wie ein nirgend aufzufindendes Werk in so vieler Bibliophilen Mund hat kommen können. </p><lb/> <p>Von großem pharmakologischen Interesse war die Samlung aller Arten von Chinarinde, die Alexander von Humboldt in Südamerika zusammengebracht, und in Paris an Kohlrausch geschenkt hatte, weil er diese Medicamente bei einem Arzte für am besten aufgehoben hielt. Sie füllten einen eignen kleinen Schrank, und sind jetzt, so viel ich weiß, den medizinischen Samlungen der Berliner Universität einverleibt. </p><lb/> <p>Unter allen diesen Schätzen waltete Tante Jettchen als fleißige Hausfrau. Sie wachte mit ängstlicher Sorgfalt für die Erhaltung und Reinigung der Marmorsachen und Gypse, sie ordnete nach und nach die Kupferstiche, sie schrieb die fehlenden Titel auf die Bücherrücken. Daneben führte sie die Bechnungen über Einnahme und Ausgabe in musterhafter Weise, war täglich in der Küche anzutreffen, und nähte für ihren Mann die feinsten Battisthemden. Die Gesellschaft in ihrem Hause bestand meist aus Künstlern und solchen Staatsbeamten, die an der Kunst Gefallen fanden. Kohlrausch hatte sich einen Apparat zur nächt- </p> </div> </body> </text> </TEI> [78/0086]
wieder vor die Augen gekommen ist: Roma senza sole e Roma senz’ ombra. Ein Jesuit des 17. Jahrhunderts soll darin eine Anweisung geben, wie man im Sommer durch ganz Rom im Schatten gehn könne, und im Winter in der Sonne. Alle meine Nachforschungen in Roms Bibliotheken waren vergeblich; jedermann kannte das Buch, aber niemand hatte es gesehn. Nach und nach bin ich fast zu der Ueberzeugung gekonunen, daß es nicht existirt, und daß Kohlrausch davon auch nur, als von einem litterarischen Curiosum erzählt habe. Noch immer stehe ich vor dem Räthsel, wie ein nirgend aufzufindendes Werk in so vieler Bibliophilen Mund hat kommen können.
Von großem pharmakologischen Interesse war die Samlung aller Arten von Chinarinde, die Alexander von Humboldt in Südamerika zusammengebracht, und in Paris an Kohlrausch geschenkt hatte, weil er diese Medicamente bei einem Arzte für am besten aufgehoben hielt. Sie füllten einen eignen kleinen Schrank, und sind jetzt, so viel ich weiß, den medizinischen Samlungen der Berliner Universität einverleibt.
Unter allen diesen Schätzen waltete Tante Jettchen als fleißige Hausfrau. Sie wachte mit ängstlicher Sorgfalt für die Erhaltung und Reinigung der Marmorsachen und Gypse, sie ordnete nach und nach die Kupferstiche, sie schrieb die fehlenden Titel auf die Bücherrücken. Daneben führte sie die Bechnungen über Einnahme und Ausgabe in musterhafter Weise, war täglich in der Küche anzutreffen, und nähte für ihren Mann die feinsten Battisthemden. Die Gesellschaft in ihrem Hause bestand meist aus Künstlern und solchen Staatsbeamten, die an der Kunst Gefallen fanden. Kohlrausch hatte sich einen Apparat zur nächt-
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/86>, abgerufen am 16.02.2025. |