Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].bot wegen ihrer unerschöpflichen Personalkenntniß den älteren und jüngeren Leuten immer eine angenehme Ansprache. Fräulein Stock liebte Abends nichts so sehr als eine Partie Boston, zu der mein Vater sich gern willig finden ließ, an spiellustigen Hausfreunden war kein Mangel, und wenn einmal die vierte Person fehlte, so durfte ich wohl als solche eintreten. Körners lebten in Berlin sehr eingezogen, und sahen nur einen kleinen Kreis von höheren Staatsbeamten und Künstlern bei sich. Mit Vergnügen erinnre ich mich, dort die Zeichnungen des eben aus Italien zurückgekehrten Malers Zimmermann gesehn zu haben. Kunstvereine gab es damals noch gar nicht; die aufstrebenden Talente zeigten also gern, um bekannt zu werden, ihre Entwürfe und Studien in solchen Kreisen, in denen kunsterfahrene oder kunstliebende Personen sie zu Gesichte bekamen. Besonders anziehend waren für mich die Details des Mailänder Doms, die mit großer Präcision die wunderbare organische Gliederung des herrlichen Gebäudes angaben. Die Durchführung der reinsten Gothik bis in die letzten Spitzen der Dachthürmchen, erregte um so mehr meine Bewunderung, als ich bis dahin von der Gothik kaum einen Begriff gehabt. Ich wollte daher kaum meinen Augen trauen, als ich später fand, daß Göthe denselben Mailänder Dom einen Marmorberg nennt, der in den elendesten Formen einen erfindungslosen Unsinn verewigt. (Fragm. über Italien 38. p. 167. Ausgabe von 1830.) Die enge Verwandtschaft mit dem von ihm gefeierten Strasburger Münster lag doch auf der Hand. Zimmermann selbst war auch neben seinen Zeichnungen recht gut anzusehn: ein junger schlanker Mann im altdeutschen schwarzen Rocke, mit freundlichen geistvollen bot wegen ihrer unerschöpflichen Personalkenntniß den älteren und jüngeren Leuten immer eine angenehme Ansprache. Fräulein Stock liebte Abends nichts so sehr als eine Partie Boston, zu der mein Vater sich gern willig finden ließ, an spiellustigen Hausfreunden war kein Mangel, und wenn einmal die vierte Person fehlte, so durfte ich wohl als solche eintreten. Körners lebten in Berlin sehr eingezogen, und sahen nur einen kleinen Kreis von höheren Staatsbeamten und Künstlern bei sich. Mit Vergnügen erinnre ich mich, dort die Zeichnungen des eben aus Italien zurückgekehrten Malers Zimmermann gesehn zu haben. Kunstvereine gab es damals noch gar nicht; die aufstrebenden Talente zeigten also gern, um bekannt zu werden, ihre Entwürfe und Studien in solchen Kreisen, in denen kunsterfahrene oder kunstliebende Personen sie zu Gesichte bekamen. Besonders anziehend waren für mich die Détails des Mailänder Doms, die mit großer Präcision die wunderbare organische Gliederung des herrlichen Gebäudes angaben. Die Durchführung der reinsten Gothik bis in die letzten Spitzen der Dachthürmchen, erregte um so mehr meine Bewunderung, als ich bis dahin von der Gothik kaum einen Begriff gehabt. Ich wollte daher kaum meinen Augen trauen, als ich später fand, daß Göthe denselben Mailänder Dom einen Marmorberg nennt, der in den elendesten Formen einen erfindungslosen Unsinn verewigt. (Fragm. über Italien 38. p. 167. Ausgabe von 1830.) Die enge Verwandtschaft mit dem von ihm gefeierten Strasburger Münster lag doch auf der Hand. Zimmermann selbst war auch neben seinen Zeichnungen recht gut anzusehn: ein junger schlanker Mann im altdeutschen schwarzen Rocke, mit freundlichen geistvollen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0066" n="58"/> bot wegen ihrer unerschöpflichen Personalkenntniß den älteren und jüngeren Leuten immer eine angenehme Ansprache. 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Die Durchführung der reinsten Gothik bis in die letzten Spitzen der Dachthürmchen, erregte um so mehr meine Bewunderung, als ich bis dahin von der Gothik kaum einen Begriff gehabt. Ich wollte daher kaum meinen Augen trauen, als ich später fand, daß Göthe denselben Mailänder Dom einen Marmorberg nennt, der in den elendesten Formen einen erfindungslosen Unsinn verewigt. (Fragm. über Italien 38. p. 167. Ausgabe von 1830.) Die enge Verwandtschaft mit dem von ihm gefeierten Strasburger Münster lag doch auf der Hand. </p><lb/> <p>Zimmermann selbst war auch neben seinen Zeichnungen recht gut anzusehn: ein junger schlanker Mann im altdeutschen schwarzen Rocke, mit freundlichen geistvollen </p> </div> </body> </text> </TEI> [58/0066]
bot wegen ihrer unerschöpflichen Personalkenntniß den älteren und jüngeren Leuten immer eine angenehme Ansprache. Fräulein Stock liebte Abends nichts so sehr als eine Partie Boston, zu der mein Vater sich gern willig finden ließ, an spiellustigen Hausfreunden war kein Mangel, und wenn einmal die vierte Person fehlte, so durfte ich wohl als solche eintreten.
Körners lebten in Berlin sehr eingezogen, und sahen nur einen kleinen Kreis von höheren Staatsbeamten und Künstlern bei sich. Mit Vergnügen erinnre ich mich, dort die Zeichnungen des eben aus Italien zurückgekehrten Malers Zimmermann gesehn zu haben. Kunstvereine gab es damals noch gar nicht; die aufstrebenden Talente zeigten also gern, um bekannt zu werden, ihre Entwürfe und Studien in solchen Kreisen, in denen kunsterfahrene oder kunstliebende Personen sie zu Gesichte bekamen. Besonders anziehend waren für mich die Détails des Mailänder Doms, die mit großer Präcision die wunderbare organische Gliederung des herrlichen Gebäudes angaben. Die Durchführung der reinsten Gothik bis in die letzten Spitzen der Dachthürmchen, erregte um so mehr meine Bewunderung, als ich bis dahin von der Gothik kaum einen Begriff gehabt. Ich wollte daher kaum meinen Augen trauen, als ich später fand, daß Göthe denselben Mailänder Dom einen Marmorberg nennt, der in den elendesten Formen einen erfindungslosen Unsinn verewigt. (Fragm. über Italien 38. p. 167. Ausgabe von 1830.) Die enge Verwandtschaft mit dem von ihm gefeierten Strasburger Münster lag doch auf der Hand.
Zimmermann selbst war auch neben seinen Zeichnungen recht gut anzusehn: ein junger schlanker Mann im altdeutschen schwarzen Rocke, mit freundlichen geistvollen
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/66>, abgerufen am 05.07.2024. |