Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].verschlimmert als verbessert. Seit der Ermordung des Herzogs von Berry (13. Febr. 1820) erhielten die Ultras die Oberhand, und drängten die Regierung unaufhörlich zu Repressivmaaßregeln. Man muß es Ludwig dem XVIII. zum Ruhme nachsagen, daß wenige Fürsten an seiner Stelle mit so großer Mäßigung nach allen Seiten hin würden regiert haben. Allein er besaß zu wenig Energie, um seiner liberalen Gesinnung einen festen Halt und Ausdruck zu geben; immer weiter ward er von dem Wege freiheitlicher Reformen abgedrängt; es ist gar keine Frage, daß die unter ihm begonnenen reactionären Beschränkungen der freien Presse, der persönlichen Freiheit, der Departementswahlen u. s. w. den Grund zu dem thörichten Beginnen seines Bruders und Nachfolgers Karls X. legten, dem die Dynastie der Bourbons zum Opfer fiel. Als im Jahre 1819 die französische Pairskammer den Aristokraten nicht royalistisch genug schien, vermochte man den schwachen Ludwig XVIII., auf einmal 60 neue Pairs von ergebner Gesinnung zu ernennen. Durch diese "fournee de pairs", wie der pariser Volkswitz sich ausdrückte, hoffte man die Majorität in der ersten Kammer für die Regierung zu sichern. Ueberdies hing Ludwig XVIII. vorzugsweise seinen litterarischen Beschäftigungen nach. Bei den Parisem galt er für einen Gelehrten, weil er den Virgil in der Ursprache las. Man behauptete, der Minister Herzog Decazes stehe deshalb so hoch in seiner Gunst, weil der König Vergnügen daran finde, die lateinischen Aufsätze von Decazes zu korrigiren; doch wollte man auch wissen, daß die Schwester des Ministers, Mademoiselle Decazes mit dem jetzt 56jährigen Könige in einem zärtlichen Verhältnisse stehe, verschlimmert als verbessert. Seit der Ermordung des Herzogs von Berry (13. Febr. 1820) erhielten die Ultras die Oberhand, und drängten die Regierung unaufhörlich zu Repressivmaaßregeln. Man muß es Ludwig dem XVIII. zum Ruhme nachsagen, daß wenige Fürsten an seiner Stelle mit so großer Mäßigung nach allen Seiten hin würden regiert haben. Allein er besaß zu wenig Energie, um seiner liberalen Gesinnung einen festen Halt und Ausdruck zu geben; immer weiter ward er von dem Wege freiheitlicher Reformen abgedrängt; es ist gar keine Frage, daß die unter ihm begonnenen reactionären Beschränkungen der freien Presse, der persönlichen Freiheit, der Departementswahlen u. s. w. den Grund zu dem thörichten Beginnen seines Bruders und Nachfolgers Karls X. legten, dem die Dynastie der Bourbons zum Opfer fiel. Als im Jahre 1819 die französische Pairskammer den Aristokraten nicht royalistisch genug schien, vermochte man den schwachen Ludwig XVIII., auf einmal 60 neue Pairs von ergebner Gesinnung zu ernennen. Durch diese „fournée de pairs“, wie der pariser Volkswitz sich ausdrückte, hoffte man die Majorität in der ersten Kammer für die Regierung zu sichern. Ueberdies hing Ludwig XVIII. vorzugsweise seinen litterarischen Beschäftigungen nach. Bei den Parisem galt er für einen Gelehrten, weil er den Virgil in der Ursprache las. Man behauptete, der Minister Herzog Decazes stehe deshalb so hoch in seiner Gunst, weil der König Vergnügen daran finde, die lateinischen Aufsätze von Decazes zu korrigiren; doch wollte man auch wissen, daß die Schwester des Ministers, Mademoiselle Decazes mit dem jetzt 56jährigen Könige in einem zärtlichen Verhältnisse stehe, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0509" n="501"/> verschlimmert als verbessert. Seit der Ermordung des Herzogs von Berry (13. Febr. 1820) erhielten die Ultras die Oberhand, und drängten die Regierung unaufhörlich zu Repressivmaaßregeln. Man muß es Ludwig dem XVIII. zum Ruhme nachsagen, daß wenige Fürsten an seiner Stelle mit so großer Mäßigung nach allen Seiten hin würden regiert haben. Allein er besaß zu wenig Energie, um seiner liberalen Gesinnung einen festen Halt und Ausdruck zu geben; immer weiter ward er von dem Wege freiheitlicher Reformen abgedrängt; es ist gar keine Frage, daß die unter ihm begonnenen reactionären Beschränkungen der freien Presse, der persönlichen Freiheit, der Departementswahlen u. s. w. den Grund zu dem thörichten Beginnen seines Bruders und Nachfolgers Karls X. legten, dem die Dynastie der Bourbons zum Opfer fiel. Als im Jahre 1819 die französische Pairskammer den Aristokraten nicht royalistisch genug schien, vermochte man den schwachen Ludwig XVIII., auf einmal 60 neue Pairs von ergebner Gesinnung zu ernennen. Durch diese „fournée de pairs“, wie der pariser Volkswitz sich ausdrückte, hoffte man die Majorität in der ersten Kammer für die Regierung zu sichern. </p><lb/> <p>Ueberdies hing Ludwig XVIII. vorzugsweise seinen litterarischen Beschäftigungen nach. Bei den Parisem galt er für einen Gelehrten, weil er den Virgil in der Ursprache las. Man behauptete, der Minister Herzog Decazes stehe deshalb so hoch in seiner Gunst, weil der König Vergnügen daran finde, die lateinischen Aufsätze von Decazes zu korrigiren; doch wollte man auch wissen, daß die Schwester des Ministers, Mademoiselle Decazes mit dem jetzt 56jährigen Könige in einem zärtlichen Verhältnisse stehe, </p> </div> </body> </text> </TEI> [501/0509]
verschlimmert als verbessert. Seit der Ermordung des Herzogs von Berry (13. Febr. 1820) erhielten die Ultras die Oberhand, und drängten die Regierung unaufhörlich zu Repressivmaaßregeln. Man muß es Ludwig dem XVIII. zum Ruhme nachsagen, daß wenige Fürsten an seiner Stelle mit so großer Mäßigung nach allen Seiten hin würden regiert haben. Allein er besaß zu wenig Energie, um seiner liberalen Gesinnung einen festen Halt und Ausdruck zu geben; immer weiter ward er von dem Wege freiheitlicher Reformen abgedrängt; es ist gar keine Frage, daß die unter ihm begonnenen reactionären Beschränkungen der freien Presse, der persönlichen Freiheit, der Departementswahlen u. s. w. den Grund zu dem thörichten Beginnen seines Bruders und Nachfolgers Karls X. legten, dem die Dynastie der Bourbons zum Opfer fiel. Als im Jahre 1819 die französische Pairskammer den Aristokraten nicht royalistisch genug schien, vermochte man den schwachen Ludwig XVIII., auf einmal 60 neue Pairs von ergebner Gesinnung zu ernennen. Durch diese „fournée de pairs“, wie der pariser Volkswitz sich ausdrückte, hoffte man die Majorität in der ersten Kammer für die Regierung zu sichern.
Ueberdies hing Ludwig XVIII. vorzugsweise seinen litterarischen Beschäftigungen nach. Bei den Parisem galt er für einen Gelehrten, weil er den Virgil in der Ursprache las. Man behauptete, der Minister Herzog Decazes stehe deshalb so hoch in seiner Gunst, weil der König Vergnügen daran finde, die lateinischen Aufsätze von Decazes zu korrigiren; doch wollte man auch wissen, daß die Schwester des Ministers, Mademoiselle Decazes mit dem jetzt 56jährigen Könige in einem zärtlichen Verhältnisse stehe,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/509 |
Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/509>, abgerufen am 05.07.2024. |