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Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

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tausch, doch hatten wir dabei mit einem Hemnisse eigner Art zu kämpfen. Bei dem letzten Aufenthalte in Löbichau war es unausbleiblich, daß in dem Kreise so vieler lebhaften jungen Herren und Damen sich Wahlverwandtschaften nach verschiedenen Seiten hin anknüpften, und nichts war natürlicher, als daß ich diese zarten Verhältnisse mit meiner Schwester recht ausführlich, doch unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses besprach. Aber mein Vater verlangte meine Briefe zu sehn, und war eifersüchtig, wenn Lilli einmal einen längeren erhielt als er. Anfangs versuchte sie eine leise Weigerung und meinte, der Brief sei doch nur für sie und für niemand anderes geschrieben, als aber mein Vater sie mit der grösten Güte fragte: hast du denn Geheimnisse vor deinem Vater? da mußte sie wohl nachgeben, unterrichtete mich jedoch gleich von diesem Begebniß. Ich stand mit meinem Vater auf einem so herzlichen Fuß, daß ich ohne Bedenken ihm die Bitte vortrug, meine Korrespondenz mit Lilli nicht zu stören; ich waffnete mich dabei mit einem Citate aus Jean Paul: Freunde sollen und müssen Geheimnisse vor einander haben, sie sind sich doch kein Geheimniß! Er beharrte jedoch bei seiner Ansicht, daß eine solche Heimlichkeit zwischen Kindern und Aeltern einen Mangel an Vertrauen beweise. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich der allerverblümtesten Ausdrücke zu bedienen, die oft meiner Schwester und später mir selbst unverständlich waren. Zum Ueberflusse gab ich den Personen unseres Kreises Namen aus der Mythologie oder Geschichte, und schickte jedem Mitgliede eine Abschrift der Geheimliste. Diese Erfindung war meinem Vater abgelauscht, der in seiner Jugend für die Korrespondenz mit den kurländischen und

tausch, doch hatten wir dabei mit einem Hemnisse eigner Art zu kämpfen. Bei dem letzten Aufenthalte in Löbichau war es unausbleiblich, daß in dem Kreise so vieler lebhaften jungen Herren und Damen sich Wahlverwandtschaften nach verschiedenen Seiten hin anknüpften, und nichts war natürlicher, als daß ich diese zarten Verhältnisse mit meiner Schwester recht ausführlich, doch unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses besprach. Aber mein Vater verlangte meine Briefe zu sehn, und war eifersüchtig, wenn Lilli einmal einen längeren erhielt als er. Anfangs versuchte sie eine leise Weigerung und meinte, der Brief sei doch nur für sie und für niemand anderes geschrieben, als aber mein Vater sie mit der grösten Güte fragte: hast du denn Geheimnisse vor deinem Vater? da mußte sie wohl nachgeben, unterrichtete mich jedoch gleich von diesem Begebniß. Ich stand mit meinem Vater auf einem so herzlichen Fuß, daß ich ohne Bedenken ihm die Bitte vortrug, meine Korrespondenz mit Lilli nicht zu stören; ich waffnete mich dabei mit einem Citate aus Jean Paul: Freunde sollen und müssen Geheimnisse vor einander haben, sie sind sich doch kein Geheimniß! Er beharrte jedoch bei seiner Ansicht, daß eine solche Heimlichkeit zwischen Kindern und Aeltern einen Mangel an Vertrauen beweise. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich der allerverblümtesten Ausdrücke zu bedienen, die oft meiner Schwester und später mir selbst unverständlich waren. Zum Ueberflusse gab ich den Personen unseres Kreises Namen aus der Mythologie oder Geschichte, und schickte jedem Mitgliede eine Abschrift der Geheimliste. Diese Erfindung war meinem Vater abgelauscht, der in seiner Jugend für die Korrespondenz mit den kurländischen und

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[439/0447] tausch, doch hatten wir dabei mit einem Hemnisse eigner Art zu kämpfen. Bei dem letzten Aufenthalte in Löbichau war es unausbleiblich, daß in dem Kreise so vieler lebhaften jungen Herren und Damen sich Wahlverwandtschaften nach verschiedenen Seiten hin anknüpften, und nichts war natürlicher, als daß ich diese zarten Verhältnisse mit meiner Schwester recht ausführlich, doch unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses besprach. Aber mein Vater verlangte meine Briefe zu sehn, und war eifersüchtig, wenn Lilli einmal einen längeren erhielt als er. Anfangs versuchte sie eine leise Weigerung und meinte, der Brief sei doch nur für sie und für niemand anderes geschrieben, als aber mein Vater sie mit der grösten Güte fragte: hast du denn Geheimnisse vor deinem Vater? da mußte sie wohl nachgeben, unterrichtete mich jedoch gleich von diesem Begebniß. Ich stand mit meinem Vater auf einem so herzlichen Fuß, daß ich ohne Bedenken ihm die Bitte vortrug, meine Korrespondenz mit Lilli nicht zu stören; ich waffnete mich dabei mit einem Citate aus Jean Paul: Freunde sollen und müssen Geheimnisse vor einander haben, sie sind sich doch kein Geheimniß! Er beharrte jedoch bei seiner Ansicht, daß eine solche Heimlichkeit zwischen Kindern und Aeltern einen Mangel an Vertrauen beweise. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich der allerverblümtesten Ausdrücke zu bedienen, die oft meiner Schwester und später mir selbst unverständlich waren. Zum Ueberflusse gab ich den Personen unseres Kreises Namen aus der Mythologie oder Geschichte, und schickte jedem Mitgliede eine Abschrift der Geheimliste. Diese Erfindung war meinem Vater abgelauscht, der in seiner Jugend für die Korrespondenz mit den kurländischen und

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Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/447>, abgerufen am 11.06.2024.